Darkover 06 - Die Flamme von Hali
Zurückhaltung, Urteilsvermögen und Disziplin. Sie hatte nie im Übermaß über diese Dinge verfügt; wann immer sie glaubte, endlich ein bisschen beherrschter zu sein, erfasste sie irgendein wilder Impuls - sie ging mit dem Falken auf die Jagd oder rannte zum See, oder sie schuf in einem Augenblick des Zorns ungeachtet der Folgen die Illusion eines Drachen…
Ganz gleich, was Raimon sagte, sie würde nie frei von der Schuld an diesen drei Toten und den Alpträumen sein, die die Überlebenden heimsuchten. Sie, sie allein hatte das bewirkt! Wenn ihr Bewahrer darauf bestand, dass sie weiterarbeitete und dass sie mit Varzil zusammen diesen Auftrag ausführte, dann würde sie zur Buße ihr Bestes tun. Aber sie durfte sich nicht erlauben, je wieder in eine Position zu geraten, in der sie solchen Schaden anrichten konnte.
Varzil hielt sein Wort und brachte das Thema Frauen als Bewahrer nicht wieder auf. Stattdessen sprachen sie über ihren Auftrag in Cedestri und darüber, was sie von den Leuten dort wussten und welche Strategien sie benutzen konnten, um sich ihrer Mitarbeit zu versichern. Varzil war nie jemandem aus Cedestri begegnet, aber Dyannis kannte den Bewahrer Francisco Gervais, denn er hatte seine Ausbildung in Hali begonnen und war immer noch dort gewesen, als sie eingetroffen war.
»Ich wage allerdings zu behaupten, dass ich mich besser an ihn erinnere als umgekehrt«, sagte sie mit ironischem Grinsen.
»Du warst auch damals alles andere als unauffällig«, widersprach er.
Darüber musste sie lachen, und die Spannung, die seit dem Gespräch vom Vorabend zwischen ihnen geherrscht hatte, verschwand.
Ansonsten gab es wenig genug zu lachen. Cedestri wusste zweifellos, dass sie auf dem Weg waren, und der Turm hatte das Gebäude in der Überwelt, das er zur Bearbeitung der Energie aus dem Riss im See benutzt hatte, zurückgezogen. Der Bewahrer und seine Leute erwarteten zweifellos eine Reaktion. Varzil war streng genommen kein Botschafter des Turms von Hali, aber er kam im Auftrag von König Carolin. Sein Ziel bestand darin, Cedestri zu überzeugen, den Pakt zu unterzeichnen oder doch zumindest das Knochenwasser und alle anderen Laran -Waffen, die sie geschaffen hatten, nicht einzusetzen. Dyannis glaubte nicht, dass Varzils Chancen besonders gut standen, trotz Franciscos alten Bindungen an den Turm von Hali. Varzil selbst war jedoch gnadenlos optimistisch.
»Wenn der Pakt nicht zu meinen Lebzeiten auf ganz Darkover akzeptiert wird«, sagte er, »dann werden eben andere nach mir die Sache weiterverfolgen, und andere nach ihnen, bis es von den abgelegensten Tälern der Hellers bis zum Strand von Temora keinen Ort mehr gibt, an dem ein ehrenhafter Mann eine Waffe benutzt, die ihn nicht dem gleichen Risiko aussetzt.«
Er wird nicht aufgeben , dachte sie. Nicht, bis er tot ist oder wir alle tot sind .
Varzils unerschütterlicher Glaube an den Pakt brachte Dyannis unerwarteten Trost. Die Ereignisse bei dem Aufstand hatten sie zutiefst erschüttert. So etwas durfte nie wieder geschehen. Laran war viel zu gefährlich, um gegen andere eingesetzt zu werden, außer unter sorgfältig überwachten Umständen.
Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr war sie davon überzeugt, dass der Pakt notwendig war. Nein, nicht nur notwendig - er war die Rettung von ganz Darkover. Wenn sie sich schon nicht auf ihre Selbstbeherrschung verlassen konnte, konnte sie zumindest dabei helfen, die Welt so zu verändern, dass der Missbrauch von Laran unmöglich wurde. Manchmal ärgerte sie sich über Varzils Geduld. Er dachte nur an Waffen, die zu Kriegszeiten benutzt werden konnten - Haftfeuer und Knochenwasserstaub , Lungenfäule und Wurzelseuche, die das Land unfruchtbar machten. Er weigerte sich zu erkennen, dass alle Laran -Arbeit eine Möglichkeit bot, Schaden anzurichten. Manchmal glaubte sie, dass sogar die Arbeit in einem überwachten Kreis unter der Anleitung eines Bewahrers zu gefährlich war.
Aus den zerklüfteten Hügeln kamen sie auf das leicht gewellte Land des Königreichs Isoldir, in dem sich der Turm von Cedestri befand. Die Landschaft war weicher geworden, als wäre sie es müde, die Himmelskuppel zu halten. Die Hügel waren karg, und etwas in dieser baumlosen Kahlheit machte Dyannis traurig. Sie spürte so etwas wie Trauer und Verzweiflung in den grauen, gebogenen Grashalmen und auf den sonnengetrockneten Höhen. Ein harsches Land, dachte sie; hier gibt es nichts, das einem Hoffnung
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