Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
war klar, so wie es nur bei alten Menschen der Fall ist, dass ihre Einschätzung den Beginn einer Konversation darstellen sollte. Obwohl ich ihr nicht die Hand gegeben hätte, mochte ich die alte Dame. Aus irgendeinem Grund hatte ich Mitleid.
»Warum … sind die Gebäude eingezäunt?«, fragte ich und spürte, dass Tom das Gesicht verzog.
»Der Besitzer hat seine Schulden nicht bezahlt und ist nach Brasilien abgehauen«, krächzte sie.
»Der Bürgermeister behauptet, dass jetzt alles ihm gehört. Wegen der Schulden. Er will alles abreißen lassen. Der Sohn des Besitzers will renovieren und ein Hotel daraus machen. Seit fünfzehn Jahren ist die Sache vor Gericht! Seit fünfzehn Jahren! Und hier verfällt alles. Sehen Sie sich das an, wie es hier aussieht. Kein Wunder, dass alle weggezogen sind. Ich bin die Letzte! Mich kriegen die hier nicht raus! Ich bin in diesem Haus aufgewachsen und hier werde ich auch sterben!«
Maulend zog die Alte weiter. In ihrem Rücken imitierte Tom ihre Mundbewegungen. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu lachen. Trotzdem wurde ich traurig. Die Alte hatte nur ihre Wohnung und die war nichts mehr wert. Ich wollte diesen Ort so schnell wie möglich verlassen. Schlechte Laune konnte ich nicht gebrauchen. Ich griff Toms Hand, doch er bewegte sich nicht. Fasziniert starrte er die eingezäunten Gebäude an.
Tom »Das würde ich mir gern ansehen.«
Sarah »Was?«
Tom »Klar. Ist doch spannend.«
Sarah »Da steht: Einsturzgefahr!«
Tom »Das schreiben sie immer, auch wenn’s nicht stimmt. Aus versicherungstechnischen Gründen.«
Ich wollte gerade etwas Dummes antworten, als ich den Glanz in seinen Augen entdeckte. In diesem Moment wusste ich, dass er sich bereits entschieden hatte. Nichts konnte ihn jetzt noch davon abbringen.
Tom »Kommst du mit?«
Sarah »So’n Scheiß. Du willst doch da jetzt nicht reingehen?«
Tom »Wir wollten eine Erkundungstour machen, oder? Das ist auch Porterville. Komm schon! Dauert nicht lang.«
Ohne auf mich zu warten, lief er zum Zaun. Ein kurzer Blick über die Schulter, dann kletterte er den Maschendraht hinauf, schwang sich auf die andere Seite und ließ sich fallen. Ich war erstaunt, wie geschickt sich der angehende Anwalt im Zäuneklettern anstellte. Dann fiel mir seine Kindheit ein. Über Zäune klettern war mit Sicherheit die erste Disziplin, die man im Heim lernt. Er grinste mich an. Ein merkwürdiger Gedanke kam mir in diesem Moment.
›Wer bist du?‹, dachte ich. ›Kenne ich dich? Ich wohne mit dir in einer Wohnung, aber kenne ich dich überhaupt?‹
Ich zögerte.
Tom »Was ist? Willst du draußen bleiben? Deine Entscheidung. Ich geh rein.«
Der Schalk in Toms Nacken grinste mich über seine Schulter hinweg an. Ich kannte den Menschen vielleicht nicht, doch ich wusste, dass ich ihn kennenlernen wollte. Er war spannend, weil er mich überraschte, weil ich ihn liebte. Tom ahnte, dass ich gerade eine wichtige Entscheidung traf, und wartete geduldig.
»Okay«, sagte ich nur, dann begann ich, den Zaun hinauf zu klettern.
Das leise Scheppern wurde von zugenagelten Fenstern zurückgeworfen. Später würde ich in Gedanken oft zu diesem Moment zurückkehren und nie wirklich herausfinden, welcher Teufel mich in diesem Augenblick ritt. Warum hörte ich nicht auf meinen Kopf, sondern auf mein Herz? Warum tut man das überhaupt? Ich wollte bei ihm sein. Das war alles, was ich wusste.
Ich ließ mich fallen. Tom half mir auf die Beine und sah mir in die Augen. Von diesem Moment an waren wir Komplizen. Wie Einbrecher überquerten wir hastig den Bereich zwischen Zaun und Außenwand und gingen im Schatten in die Hocke. Tom sah sich um, lauschte konzentriert und beobachtete den anderen Teil des Komplexes.
Abgeblättert, kaum noch lesbar, befand sich über dem Eingang des wuchtigen Baus ein Schriftzug: ›Abidias Asylum‹.
Tom drehte sich zu mir um.
Tom »Das war ’ne Klapsmühle.«
Sarah »Bist du sicher, dass du da rein willst?«
Tom »Na klar. Jetzt erst recht.«
Ich protestierte nicht. Die Neugier hatte gewonnen.
Auf dem Rasen, der hoch und wild wucherte, lag überall Müll und Schrott. Ein altes Dreirad, ein verrosteter Betonmischer, Dosen, Baseballhandschuhe von Kindern, ein Autowrack und ein seltsames Spielzeugflugzeug. Ein Doppeldecker aus rotem Plastik mit einem weißen Vogel auf dem Bug. Eine unheimliche Endzeit herrschte zwischen den Gebäuden. Als hätte es zahlreiche Expeditionen ins Innere gegeben, deren Teilnehmer auf der
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