Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman

seltsame Frau. Alex sah mich lange finster an und sagte dann, er würde jetzt ins Bett gehen.
    » Mit wem gehst du eigentlich auf den Ball, Alex? « , fragte ich wie nebenbei und vorgeblich desinteressiert.
    » Ach, irgend so eine Frau « , sagte er schnell und schloss die Tür.
    Am nächsten Morgen war ich um acht Uhr auf. Das Telegramm, das ich mir ausgedacht hatte– MIT DIPHTHERIE IM KRANKENHAUS. UNTRÖSTLICH WEGEN STUDENTENBALL. KOMM NICHT. DARF KEINEN BESUCH EMPFANGEN– machte die Teilnahme am Seminar » Der englische Aufsatz « unnötig, und die Vorlesung über italienische Bildhauerei des vierzehnten, fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts ließen sowieso immer alle ausfallen. Ich war entschlossen, allen dummen Fragen nach meinem Verbleib zuvorzukommen und dem Wochenendtamtam an der Schule zu entfliehen.
    Die große rechteckige Uhr in der Schalterhalle der Western Union zeigte gerade halb zehn Uhr an, als ich das Telegramm an Bubbles mit der Bitte, mich wegen Krankheit zu entschuldigen, aufgesetzt hatte. Das hieß, dass ich in gemütlichem Tempo nach Philadelphia fahren konnte, wenn ich gegen Mittag da sein wollte. Ich pfiff die Melodie von » The Piccolino « vor mich hin, schlenderte nach draußen und schloss die Fahrertür meines Wagens auf. Mir erstarb die Melodie auf den Lippen. Auf dem Vordersitz hockte Bubbles.
    » Überraschung! « , kreischte sie. » Da bin ich, Honey! Wetten– du hast mich nicht so früh erwartet, was? «
    » Na, so was, Bubbles « , hauchte ich.
    » Mensch, du siehst aus, als wär dir grade ein Geist begegnet. Na komm, krieg ich kein Schmatzerchen? «
    Wie in Trance stieg ich ein.
    » Es ist nämlich so, Honey « , plapperte sie weiter, » der Koch, der sagt zu mir, ›man ist nur einmal jung‹, sagt er, ›kannst dir das ganze Wochenende frei nehmen‹. Und da bin ich in aller Frühe aufgestanden und hab den ersten Zug genommen– war eigentlich ein regulärer Bummelzug– und dachte, überrasch ich dich mal. «
    » Das ist dir gelungen « , sagte ich dumpf.
    » Am Bahnhof habe ich kein Taxi gekriegt nicht, marschierst du eben hierher, habe ich mir gesagt, und dann, ich denke, ich sehe nicht recht, steht da dein Auto, habe ich an der Nummer aus New York erkannt, und ich setz mich rein. Hoffentlich hast du mir nicht ein teures Hotelzimmer und so reserviert, ich wohne nämlich bei meine Freundin Mavis. «
    » Mavis Hooper? « , fragte ich ungläubig nach.
    Mavis Hooper war die stadtbekannte Hure– uneheliche Tochter der Dorfnutte– und ein Mädchen fast ohne jede Intelligenz, obwohl angeblich Woodrow Wilson ihr leiblicher Vater war.
    Mit Magenkrämpfen fuhr ich Bubbles zu dem berüchtigten Fachwerkhaus am Stadtrand, wo Mavis wohnte, und schleppte das nagelneue taubenblaue Kofferset die von Generationen geisteswissenschaftlicher Studenten ausgetretenen Treppenstufen hinauf.
    » Komm rein, Honey, leg die Beine hoch « , sagte Bubbles.
    » Ich kann nicht « , stammelte ich. » Ich habe ein Seminar in Kunstgeschichte. «
    » Na schönchen, Professerchen. Ich mach mich nur eben frisch, dann latsche ich rüber zum Campus und hole dich zum Lunch ab. «
    » Nein, nein! Das brauchst du nicht, Bubbles! Es ist ein ziemlich weiter Weg. Ich komme vorbei. Punkt zwölf Uhr. «
    » Klasse. Kann ich mir solange mal das Örtchen beschnuppern. Bis dann, Honey! «
    Mir schwirrte der Kopf. Wie gelähmt setzte ich mich hinters Steuer und fuhr zurück zum Wohnheim. Sollte ich mich je eines Machiavellischen Geistes gerühmt haben, Bubbles übertraf mich in jeder Hinsicht. Ich befand mich in einer Zwickmühle: Wenn ich jetzt zurück auf mein Zimmer ging und mich das Wochenende über bedeckt hielt, würde ich das Bubbles niemals erklären können. Wenn ich die Stadt verließ, für die gesamte Zeit oder sogar noch länger, würde Bubbles, von Natur aus neugierig, den Weg zum Wohnheim finden und eine Szene machen, die sich gewaschen hatte. Wenn ich mich erschoss… Nein, entschied ich: Das Beste war, mich unverzüglich zum Wohnheim zu begeben, ein paar Klamotten einzupacken, eine Touristenhütte zu mieten und Bubbles von der Schule fernzuhalten, so fern wie möglich.
    An dem Tag fuhren wir zum Lunch in einem Howard Johnson’s dreißig Kilometer weit, und dann machte ich lauter Umwege, um Bubbles die Landschaft zu zeigen.
    » Honey, guck mal, wie spät es ist! Ich muss nach Hause und mich umziehen für die ganzen Cocktailpartys. Und was ist mit die Dinner mit Tanz im Club? «
    » Club? Was für ein