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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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in etwas passablerem Aufzug zu dem Gebäude zurück, machte über den Pförtner ihr Apartment ausfindig und brach ein. Sie hatte recht einfach gewohnt. In einer Ecke des Zimmers hatte sie einen Tisch aufgestellt und an ihren Memoiren geschrieben. Ich setzte mich hin und las und nahm die Blätter schließlich an mich. Weiter als bis zu ihren ersten sieben Lebensjahren war sie noch nicht gekommen. In meiner Eitelkeit fragte ich mich wieder, ob auch ich in ihrem Buch erwähnt worden wäre.
    Wahrscheinlich nicht.
    Ich nahm auch einige Kleidungsstücke von ihr mit; nur Sachen, die sie getragen hatte, als ich mit ihr zusammen war. Und nichts Intimes darunter. Ich bin kein Fetischist. Ich hatte nicht vor, nach Hause zu gehen, um mein Gesicht im Geruch ihrer Unterwäsche zu vergraben.
    Aber ich wollte irgend etwas, das mich an sie erinnern würde; in dem ich sie mir bildhaft vergegenwärtigen konnte. Freilich, wenn ich’s genau bedenke, ist mir nie ein menschliches Wesen begegnet, das geeigneter gewesen wäre, sich in seine bloße Haut zu kleiden.
    So hatte ich sie ein zweites Mal verloren; und Schuld daran war eher meine eigene Feigheit als die Sachlage selbst.
    Pettifer blieb dem Haus fern, in dem sie Mrs. Ess vier Wochen lang festhielten. Man gab ihr mehr oder minder alles, was sie verlangte, nur ihre Freiheit nicht, und nach der verlangte sie nur auf äußerst abstrakte Art. An Flucht war sie nicht interessiert, obwohl sich ein Ausbruch leicht hätte bewerkstelligen lassen. Ein-, zweimal fragte sie sich, ob Titus den zwei Männern und der Frau, die sie hier im Haus gefangenhielten, im Klartext erzählt hatte, wozu sie fähig war; ihrer Einschätzung nach nicht. Sie behandelten sie lediglich wie eine Frau, auf die Titus ein Auge geworfen hatte und die er begehrte. Sie hatten sie ihm für sein Bett besorgt, so simpel war das.
    Mit einem Zimmer für sich allein und einem endlosen Nachschub an Papier begann sie wieder an ihren Memoiren zu schreiben, und zwar noch mal von vorn.
    Es war Spätsommer, und die Nächte wurden langsam empfindlich kühl. Um sich zu wärmen, lag sie dann manchmal auf dem Boden (sie hatte sie gebeten, das Bett zu entfernen) und zwang ihren Körper, sich wie die Oberfläche eines Sees zu kräuseln. Ohne Sex wurde ihr ihr Körper wieder zum Geheimnis; und zum erstenmal wurde ihr klar, daß die physische Liebe der Erkundung jener intimsten und doch unbekanntesten Region ihres Seins gedient hatte: der ihres Fleisches.
    Das tiefste Verständnis ihrer selbst hatte sie erfahren, indem sie jemand anderen umarmte, hatte ihre ureigenste Substanz nur dann klar erfassen können, wenn sich fremde Lippen auf sie legten, inbrünstig und zärtlich. Wieder mußte sie an Vassi denken, und der See wurde beim Denken an ihn aufgewühlt wie von einem Sturm. Ihre Brüste bebten, kreisten empor zu wogenden Bergen, ihren Bauch durchflutete der Puls sonderbarer Gezeiten, Strömungen huschten kreuz und quer über ihr flackerndes Gesicht, schlugen plätschernd gegen die Wölbung ihres Mundes und hinterließen ihre Spur wie Wellen auf Sand. Wie sie flüssig zugegen war in seinem Gedächtnis, so verflüssigte sie sich auch, wenn sie sich an ihn erinnerte.
    Sie dachte an die seltenen Phasen wirklicher Ruhe in ihrem Leben.
    Stets war die physische Liebe, die von Ehrgeiz und Eitelkeit befreite, jenen zerbrechlichen Augenblicken vorausgegangen. Vermutlich ließ sich das auch noch auf andere Weise erreichen; aber in dieser Hinsicht war ihre Erfahrung beschränkt geblieben. Ihre Mutter hatte immer gesagt, Frauen wären ausgeglichener, ruhten mehr in sich selbst und brauchten sich daher weniger, seltener von ihren Verletzungen abzu-lenken als die Männer. Aber sie hatte feststellen müssen, daß es sich in keiner Weise so verhielt, sondern daß ihr Leben überreich an Verletzungen war, aber äußerst arm an Möglichkeiten, sie zu lindern.
    Als sie bei ihrem neunten Lebensjahr angelangt war, hörte sie auf, ihre Memoiren zu schreiben. Hoffnungslos, ab diesem Zeitpunkt - beim ersten Gewahrwerden der bevorstehenden Pubertät - ihre Geschichte noch weitererzählen zu wollen. Sie verbrannte die Aufzeichnungen in einem offenen Feuer, das sie in der Mitte ihres Zimmers angezündet hatte, genau an dem Tag, an dem Pettifer aufkreuzte.
    Mein Gott, dachte sie, wenn das die Macht sein soll.
    Pettifer sah krank aus; physisch ebenso verändert wie eine Freundin, die ihr der Krebs genommen hatte. Im einen Monat scheinbar gesund.
    im nächsten von

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