Das 1. Buch Des Blutes - 1
tagein, tagaus die gleichen Gesichter.
Man redet mit dem einen oder ändern ein paar Takte, grinst sich an, nickt sich zu. Wir waren zwar Gegner vor Gericht, gehörten aber alle zum gleichen selbstzufriedenen Verein. Aßen am gleichen Tisch, saßen auf Tuchfühlung beim Trinken. Gelegentlich teilten wir uns sogar die Geliebten, was freilich nicht heißt, daß wir das im gegebenen Fall auch immer wußten. Unter solchen Voraussetzungen fällt«
einem leicht, daran zu glauben, daß einem die Welt nichts Böses will.
Sicher, man wird nicht jünger, aber das geht schließlich jedem so. Du glaubst sogar daran, saturiert wie du bist, daß du mit den Jahren ein bißchen weiser, abgeklärter wirst. Das Leben ist erträglich; sogar die 3-Uhr-nachts-Schweißausbrüche gehen bei steigendem Konto immer mehr zurück.
Aber man betrügt sich selbst, wenn man die Welt für harmlos hält und an sogenannte Gewißheiten glaubt, die in Wahrheit nichts als gemeinsame Täuschungen sind.
Als sie fortging, schwanden alle Täuschungen dahin, und all die Lügen, nach denen ich geflissentlich gelebt hatte, wurden auf krasseste Weise offenkundig.
Klein ist die Welt nicht, wenn es nur ein einziges Gesicht in ihr gibt, dessen Anblick dir wirklich erträglich ist, und dir genau dieses Gesicht irgendwo in einem Mahlstrom verloren geht. Klein ist die Welt nicht, wenn die Gefahr besteht, daß dir die paar lebenswichtigen Erinnerungen an den Gegenstand deiner Zuneigung von den tausend Augenblicken zertrampelt werden, die tagtäglich über dich herfallen, um wie Kinder an dir herumzuzerren und deine Aufmerksamkeit voll und ganz zu beanspruchen.
Ich war ein gebrochener Mann.
In trostlosen Absteigen fand ich mich wieder (klingt vielsagend genug, der Satz), schlief in winzigen Einbettzimmern, trank mehr als ich aß und schrieb, wie der klassische Besessene, immer wieder ihren Namen. Auf die Wände, auf das Kissen, auf die Innenfläche der Hand.
Dabei riß mir die Feder die Haut auf, und ich infizierte mich an der Tinte. Das Mal ist noch da, ich schau es jetzt gerade an. Jacqueline, sagt es. Jacqueline.
Dann eines Tages, aus purem Zufall, sah ich sie. Es klingt melodramatisch, aber mir war, als müßte ich augenblicklich sterben. Ich hatte sie mir so lange vorgestellt, mich hochgeputscht und ganz verrückt gemacht, sie wiederzusehen, daß ich, als es dann wirklich passierte, fühlte, wie mir die Knie weich wurden; mitten auf der Straße sackte ich zusammen und erbrach mich. Nicht gerade die klassische Zusammenkunft. Beim Anblick seiner Geliebten muß sich der Liebende übergeben und das Hemd bekleckern. Aber andererseits war ja nichts, ms sich je zwischen Jacqueline und mir abspielte, ganz normal. Oder natürlich.
Ich folgte ihr, was schwierig war wegen der Menschenmassen, und weil sie schnell ging. Ich wußte nicht recht, sollte ich ihren Namen rufen oder nicht. Lieber nicht. Was hätte sie denn schon getan, beim Anblick dieses unrasierten, auf sie zuwatschelnden Irren, der sie da beim Namen rief? Wahrscheinlich wäre sie losgerannt. Oder schlimmer noch, sie hätte in meine Brust hineingelangt, mein Herz gepackt, ihrer Willenskraft unterworfen, und meinem Elend ein Ende gemacht, ehe ich noch der Welt ihr wahres Wesen hätte enthüllen können.
Also war ich still und folgte ihr einfach verbissen bis zu ihrer mutmaßlichen - Wohnung. Und dort, oder vielmehr ganz in der Nähe, blieb ich die nächsten zweieinhalb Tage, ohne recht zu wissen, was ich tun sollte. Ein lächerliches Dilemma. Da hatte ich die ganze Zeit auf sie gewartet und gelauert, und jetzt, da sie so nah war, daß ich mit ihr reden, sie berühren konnte, wagte ich nicht, ihr unter die Augen zu kommen.
Womöglich hatte ich Angst vorm Tod. Aber bitte, hier bin ich schließlich, in diesem stinkenden Zimmer in Amsterdam, bei der Niederschrift meines Zeugenberichts, und warte auf Koos, daß er mir ihren Schlüssel bringt, und diesmal hab’ ich keine Angst vorm Tod.
Vielleicht war’s meine Eitelkeit, die mich davon abhielt, ihr unter die Augen zu kommen. Nein, so sollte sie mich nicht sehen - so trostlos und zerstört; makellos wollte ich zu ihr kommen, als ihr Traum-Geliebter.
Und während ich abwartete, kamen sie sie holen.
Ich hatte keine Ahnung, wer sie waren. Zwei Männer, unauffällig gekleidet. Keine Polizisten, glaub’ ich: zu glatt. Ja sogar kultiviert.
Und sie leistete keinen Widerstand. Lächelnd ging sie mit, wie in die Oper.
Bei der erstbesten Gelegenheit kehrte ich
Weitere Kostenlose Bücher