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Das Aion - Kinder der Sonne

Das Aion - Kinder der Sonne

Titel: Das Aion - Kinder der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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hinweg, dass sie es mit ausgestrecktem Arm hätte berühren können.
    Für den Bruchteil einer Sekunde blickte Mira in einen mit langen, borstigen Haaren und dicken Stacheln gespickten, scheinbar endlosen Schlund. Er war groß genug, um mühelos den Doktor verschlucken zu können, während er dort, wo er in den aufgeblähten Ballonkörper der Ambodruse mündete, fast vier Meter dick sein musste. Unmittelbar hinter dem Tentakelmaul wuchsen mächtige Dornen und fingerdünne, sich ringelnde Polypen, von denen einige Mira ein paar Tropfen einer stinkenden Flüssigkeit ins Gesicht spritzten. Ein tiefes, saugendes Geräusch drang aus dem Schlund und für einen Augenblick wurden Miras lange schwarze Haare mit dem Luftsog emporgeweht. Dann war der Tentakel über sie hinweggezogen, einen Wirbel aus angesaugten Sandkörnern hinter sich herziehend. Gelähmt vor Schreck, blickte Mira der über sie hinwegschwebenden Ambodruse nach, unter deren Ballonleib Dutzende langer Fangarme wild in der Luft peitschten. Das Ungetüm jagte der einzigen Bewegung nach, die es am Boden wahrnahm: dem führerlosen Sandschlitten, der schlingernd durch das Dünental davonraste. Als das Gefährt sich etwa 200 Meter von der Gruppe entfernt hatte, holte die Ambodruse es ein. Der mächtige Fangtentakel schoss auf den Schlitten herab und rammte ihn in den Wüstenboden. Dann zog er das zermalmte Wrack mit dem zahnbewehrten Rüssel hinauf zu einer scheunentorgroßen, von vier riesigen Hornschnäbeln bewehrten Maulöffnung an der Körperunterseite des Ballonkörpers. Selbst auf die Entfernung hörte Mira, wie die riesigen Schnäbel den Sandschlitten zermalmten. Die Ambodruse stieß ein Geräusch aus, das wie ein tiefes, melodisches Trillern klang, dann spie sie die ungenießbaren Schrottteile wieder aus, welche mit dumpfem Krachen auf dem Boden aufschlugen. Rasch gewann das Geschöpf daraufhin an Höhe, ließ sich mit dem Wind davontreiben und war wenig später hinter den Dünen verschwunden.
    Mira zitterte am ganzen Körper und wagte noch immer nicht, sich zu bewegen. Sie traute sich nicht einmal, vernehmbar zu atmen, aus Angst, das gigantische Tier könne zurückkehren und sie mit seinem Tentakel packen, sie einfach einatmen, hineinsaugen in ihr grauenhaftes Inneres und an Hunderten von Dornen aufspießen, ehe die riesigen Hornschnäbel sich um sie herum schlossen …
    Nun wusste sie, dass Bausch mit seinen Schauergeschichten nicht übertrieben hatte und die Ambodrusen kein Kinderschreckmärchen waren. Einem Menschen, den ihr Fangtentakel in der Dunkelheit packte, konnte es nicht viel anders ergehen als dem Sandschlitten – mit dem Unterschied, dass ihr Schnabelmaul ihn garantiert niemals mehr ausspucken würde.
    Mira hatte soeben dem schrecklichsten Märchen der Welt ins Maul geblickt. Es musste einfach auch die Wünsche der Menschen fressen …

 
13  Der Schacht
     
     
    Dr. Gayot hatte sich bei seinem Sturz von der Düne einen Finger seiner linken Hand gebrochen. Zudem waren zwei seiner Instrumentenarme an den Gelenken abgeknickt und pendelten – nur noch von dünnen Kabeln gehalten – schlaff an ihren Tragbügeln. Während Jiril lediglich eine Handvoll Sand verschluckt hatte, humpelte Ben infolge seines halsbrecherischen Sprungs von dem fahrenden Sandschlitten. Bei Delius hatte der Zwischenfall offenbar keine bleibenden Schäden hinterlassen. Allerdings schien er durch die zahlreichen Erschütterungen in seinem Speicher auf ein umfangreiches Archiv menschlicher Flüche und Verwünschungen gestoßen zu sein, die er nun in alphabetischer Reihenfolge zum Besten gab. Erst als der Doktor ihn für einige Minuten ausschaltete, um die Störung manuell zu beheben, herrschte – abgesehen von Delius’ anschließender Beschwerde über ein weiteres Fehlerprotokoll – wieder Ruhe.
    Miras Knie hingegen bestanden nur noch aus Pudding. Während Ben und Jiril die vom Sandschlitten gefallene Ausrüstung einsammelten und der Doktor sich selbst verarztete, nahm sie alles um sich herum minutenlang wie in Trance wahr. Nur langsam wich der Schreck aus ihren Gliedern.
    »Geht’s wieder?«, erkundigte sich Ben.
    »Ich wünschte, ich wäre Delius«, sagte Mira mit dünner Stimme.
    »Warum das?«
    »Dann bräuchte der Doktor einfach nur meinen Speicher löschen und ich würde mich an nichts mehr erinnern.«
    »Nicht einmal an die schönen Dinge?«, fragte Ben.
    Mira verzog die Mundwinkel. »Davon gab’s noch nicht allzu viele«, gestand sie. »Du weißt ja gar nicht,

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