Das andere Kind
verunsichert, aber
doch irritiert. »Heißt das, Sie nehmen mich fest?«
»Mr. Tanner, es geht ausschließlich um einige Fragen, die wir dringend beantwortet haben
müssen. Es haben sich erhebliche Zweifel hinsichtlich Ihrer Angaben, den Samstagabend
betreffend, ergeben. Es liegt in Ihrem Interesse, diese Zweifel möglichst schnell auszuräumen.«
Reeks Ausdrucksweise und Tonlage ließen trotz der Höflichkeit kaum einen Zweifel daran, dass
Dave keine andere Wahl hatte, als der an ihn gerichteten Aufforderung Folge zu
leisten.
Dave blickte an sich herab. »Darf ich mir ganz schnell ein paar trockene Sachen anziehen? Ich
bin, ehrlich gesagt, nass bis auf die Unterhose, und ich möchte mir bei Ihnen auf dem Revier
ungern eine Erkältung holen, Sergeant.«
»Ich komme mit hinauf«, sagte Reek.
Dave wandte sich an Leslie. »Tut mir leid. Du siehst, ich kann nichts machen.«
»Was können sie gegen dich in der Hand haben, Dave?«
Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich klärt sich alles ganz schnell auf. Ich
möchte aber, dass du weißt, Leslie, dass ich, was immer die mir jetzt vorhalten, deine
Großmutter nicht umgebracht habe. So wenig wie Amy Mills. Ich laufe nicht nachts in der Gegend
herum und ermorde Frauen, ich schwöre dir das. Bitte zweifle nicht an mir.«
Sie nickte, aber er schien ihre Verunsicherung zu spüren, denn er hob die Hand, berührte kurz,
in einer ebenso hilflos wie zärtlich anmutenden Geste, ihr Gesicht. »Bitte«, wiederholte
er.
»Ich zweifle nicht«, erklärte sie folgsam und fragte sich gleich darauf, weshalb sie die
Situation unbedingt leichter für ihn machen wollte. »Mr. Tanner«, mahnte Sergeant Reek, den der
Regen immer mehr durchweichte, ungeduldig.
»Ich komme ja schon«, sagte Dave. Die beiden Männer gingen auf Mrs. Willertons Haus zu. Leslie
stand im Regen u!1d sah ihnen nach, beobachtete die Szene, die ihr so seltsam irreal vorkam.
Beobachtete, wie Dave den Schlüssel hervorkramte, die Tür aufschloss. Wie er und Sergeant Reek
eintraten. Wie sich die Tür hinter ihnen schloss.
Dave Tanner hatte sich nicht noch einmal umgeblickt.
»Seltsam«, sagte Colin, »dass Jennifer noch nicht daheim ist.«
Er stand in der Tür zu dem kleinen Arbeitszimmer. Gwen saß am Schreibtisch, hatte den Computer
hochgefahren, bewegte konzentriert die Maus hin und her.
Sie blickte auf. »Wieso?«
»Es ist gleich zwei Uhr. Das Wetter ist eine Katastrophe. Was macht sie so lange in der
Stadt?«
»Sie sitzt in einem Cafe und wartet, dass der Regen nachlässt, damit sie halbwegs trockenen
Fußes die Bushaltestelle erreichen kann«, erklärte Gwen mit einem Anflug jenes Pragmatismus,
über den sie durchaus verfügte, den andere Menschen jedoch nicht allzu häufig an ihr
wahrnahmen. »Außerdem, falls sie den Bus um ein Uhr verpasst hat, geht der nächste erst Viertel
nach vier. Wir leben hier wirklich auf dem Land, Colin!«
»Hm«, machte Colin.
Hinter ihm standen Cal und Wotan. Wotan winselte leise.
»Die Hunde vermissen sie.«
»Sie kommt bestimmt bald nach Hause«, meinte Gwen zerstreut. Colin trat nun ganz ins Zimmer.
»Wo ist dein Vater?« »Hat sich hingelegt. Es geht ihm nicht gut. Ich glaube, Fionas Tod setzt
ihm sehr zu.«
»Tja«, machte Colin.
Gwen und er sahen einander über den Schreibtisch hinweg an.
»Du sagtest vorhin ... Dave Tanner kennt die ganze Geschichte?«, fragte Colin mit gedämpfter
Stimme. Chad Beckett konnte jeden Moment die Treppe herunterkommen.
Sie atmete tief.
»Ja.«»Hast du sie ihm zu lesen gegeben?«
»J a.«
»Wie hat er reagiert?«
»Er hat sich noch nicht geäußert.« »Die schlechte Meinung, die er ohnehin von Fiona hatte,
dürfte sich durch die Lektüre kaum gebessert haben.« »Vermutlich nicht«, stimmte Gwen zu. Sie
sah sehr müde aus, wie Colin auffiel. Müde und bedrückt.
Die vierundzwanzig Stunden zusammen mit ihrem Verlobten sind nicht gerade prickelnd gewesen,
dachte er. So frustriert, wie sie ihm erschien, hätte er sie gern in Ruhe gelassen, aber eine
Frage brannte ihm auf der Seele. »Meinst du nicht, dass das alles, die ganze Geschichte deines
Vaters und Fionas, zur Polizei gehört?«, fragte er vorsichtig.
Sie sah ihn an, nicht aufgeregt oder erschrocken, sondern nur traurig. »Dann erfährt mein
Vater, dass ich die Mails von Fiona an ihn gelesen habe. Dass ich sie ausgedruckt und dir und
Jennifer zum Lesen gegeben habe. Und Dave. Das verzeiht er mir nie.«
»Vielleicht ist
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