Das andere Kind
irritiert. »Vor zwei Stunden vielleicht. Weiß aber nicht, was sie
wollten.« »Ich werde mich dort melden«, sagte Dave, »aber erst will ich mit Gwen
sprechen.« »Da werden Sie sich etwas gedulden müssen.« »Wieso holt Gwen eigentlich Jennifer ab?
Und wo?«, fragte Leslie. Chad runzelte die Stirn. »Jennifer ist doch gestern Mittag zur
Polizei gegangen. Mit einer Bekannten von Gwen, wenn ich das richtig
verstanden habe. Deren Freund hat offensichtlich etwas mit dem Mord an dieser Studentin zu tun,
diesem Mädchen, das im Juli in Scarborough umgebracht wurde. Die Freundin ist ihm auf die
Schliche gekommen und hat sich an Jennifer
gewandt.«
Dave und Leslie starrten ihn an. »Was?«
Es war erkennbar, dass sich Chad für die ganze Geschichte nicht sonderlich interessierte und
vermutlich nicht genau genug zugehört hatte, um Details zu kennen. »Ihr müsst Jennifer selbst
fragen, sie kann euch das alles bestimmt besser erzählen. Ich weiß nur, was Colin mir berichtet
hat, nachdem sie mit ihm telefoniert hatte. Sie hat bei der Bekannten von Gwen übernachtet,
weil die dicht vor einem Nervenzusammenbruch stand und nicht allein bleiben konnte. Jedenfalls
wollte Gwen sie heute dort abholen.« »Das gibt es doch gar nicht«, sagte Leslie fassungslos.
»Heißt das, man weiß jetzt, wer Amy Mills umgebracht hat?«, fragte Dave. Chad schien wie immer
unbeeindruckt. »Kann sein.« »Dann bin ich wenigstens diesen Verdacht los«, sagte
Dave.
»Wo ist denn Colin?«, fragte Leslie, die die Hoffnung hegte, von dem jüngeren Mann die
entscheidenden Informationen zu bekommen. Sie fragte sich, was jeder sich gefragt hatte, der
die Nachricht vernommen hatte: Wenn der Mörder von Amy Mills gefasst war - hieß das, dass damit
auch Fionas Mörder der Polizei ins Netz gegangen war?
»Colin ist mit den beiden Hunden weg«, erklärte Chad. Im Moment schien es nicht möglich,
mehr zu erfahren. Leslie strich sich mit beiden Händen über die Schläfen, eine Geste, mit der
sie versuchte, ihre Konzentration zu festigen. Sie hatte soeben etwas vollkommen Verrücktes
erfahren, aber da sie im Augenblick weder mit Jennifer noch mit der Polizei sprechen und die
hundert Fragen, die sie bedrängten, stellen konnte, musste sie tun, weshalb sie hergekommen
war.
»Chad, ich möchte kurz mit dir reden«, bat sie. Chad war einverstanden. »Komm in die Küche. Ich
habe mir gerade etwas zu essen gemacht.« »Ich warte draußen«, sagte Dave, »ich brauche sowieso
etwas frische Luft.«
Leslie folgte Chad in die Küche. Auf dem Tisch stand eine Pfanne mit blassgelbem, ziemlich
glitschigem Rührei. Er hatte einige Stücke fette Wurst hineingeschnippelt, die zuoberst lag und
wahrscheinlich kalt war. »Tut mir leid, dass ich beim Essen störe«, sagte Leslie. Chad winkte
ab und setzte sich auf die Bank, zog sich einen der Teller heran, die sich seit dem Frühstück
auf dem Tisch stapelten, schnipste die Brotkrumen weg und schaufelte sich seine unappetitliche
Mahlzeit darauf. »Macht wenig Spaß, allein zu essen. Möchtest du auch etwas?«
Sie schüttelte sich innerlich. »Nein danke.« Er musterte sie kurz. »Du bist zu dünn.« »War
ich immer.«
Er gab einen undefinierbaren Laut von sich. Leslie nahm ihm gegenüber Platz, öffnete ihre
Tasche und zog entschlossen die Blätter heraus, die Colin ihr vor wenigen Tagen in die Hand
gedrückt hatte.
»Weißt du, was das ist?«
Er blickte kauend auf »Nein.«
»Ausgedruckte Computerdateien. Die E- Mails beigefügt waren, die meine Großmutter an dich
geschrieben hat. Während des letzten halben Jahres.«
Chad erstarrte für einen Moment, als er begriff, was sie da in den Händen
hielt. Er ließ seine Gabel sinken. »Woher hast du das?«, fragte er scharf .
»Unwichtig.«
»Du warst am Computer deiner Großmutter?«
Leslie dachte, dass es am unverfänglichsten sei, wenn er vorläufig an diese
Version glaubte, und widersprach nicht. »Da steht vieles, was ich bereits wusste. Und manches,
wovon ich keine Ahnung hatte. Ich habe nie, nie etwas erfahren von der Existenz eines Brian Somerville.«
In ihrer Stimme war ein Klirren, als sie den Namen aussprach. Seltsam klar, sehr hart und
unnachgiebig stand er im Raum.
»Brian Somerville«, wiederholte Chad. Er schob seinen Teller zurück. So ungerührt von allem und
jedem er sich stets zeigte, dies nun schien ihm doch den Appetit zu verschlagen.
»Ja. Brian Somerville.« »Was willst du wissen?«
»Was wurde
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