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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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auf
    London.
    »Die Deutschen fliegen immer noch Angriffe«, erzählte sie, »zwar nicht mehr so schlimm wie am
    Anfang, aber ich bin trotzdem froh, dass du hier bist. In Sicherheit. Sehr viele Leute haben
    ihre Kinder inzwischen aufs Land gebracht.«
    Sie selbst wohnte immer noch bei Tante Edith, und das sei entsetzlich, wie sie mir
    anvertraute.
    »Einfach zu viele Menschen und zu wenig Platz. Und du kennst ja Edith. Sie zeigt einem richtig,
    dass man ihr auf die Nerven geht. Mich behandelt sie wie einen Almosenempfänger. Ich meine,
    immerhin bin ich die Ehefrau ihres verstorbenen Bruders! Ich bin nicht
    irgendjemand!«
    Ihr Blick fiel auf Brian, der sich wie stets in meiner Nähe aufhielt. Er saß zu unseren Füßen
    und schob ein kleines Holzauto, das früher Chad gehört hatte, hin und her. Wie üblich spielte
    er nichts, was irgendeinen erkennbaren Sinn gehabt hätte.
    »Versteht er uns?«, fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Er kann ja auch
    kaum sprechen.«
    Tatsächlich war es so, dass Brian Anfang Januar zum ersten Mal, seit er
    hier war, versucht hatte, so etwas wie Worte zu bilden. Emma hatte geradezu euphorisch darauf
    reagiert, aber ich fand, dass der Erfolg sich wirklich in Grenzen hielt. Was er, zu meinem
    Ärger, ziemlich deutlich hervorbrachte, war das Wort Fiona. Außerdem konnte er etwas sagen, das so ähnlich klang wie komm! und baby. Emma rätselte, was er mit Letzterem wohl meinte. Chad
    und ich waren sicher, dass er eigentlich nobody sagen wollte, den Namen, mit dem wir ihn ansprachen, wenn wir allein mit ihm waren.
    Aber das verrieten wir nicht, denn uns war klar, dass Emma ziemlich böse darüber geworden
    wäre.
    Nachdem sich Mum vergewissert hatte, dass Brian tatsächlich nicht weitertratschen konnte, was
    er hier möglicherweise aufschnappte, rückte sie mit der Information heraus, die vermutlich der
    eigentliche Grund für ihre Reise in den Norden gewesen war.
    »Es kann sein, dass ich gar nicht mehr so lang bei Tante Edith wohne«, sagte sie. »Wird unser
    Haus denn wieder aufgebaut?«, fragte ich. »Nein. Das wird wohl noch einige Zeit dauern. Sie
    räumen den Schutt von den Straßen, aber das Aufbauen lohnt sich nicht richtig, solange die
    Deutschen noch angreifen.«
    »Und wohin willst du dann ziehen?«
    Sie druckste ziemlich herum. Schließlich sagte sie leise und hastig: »Ich habe jemanden kennen
    gelernt...« Ich begriff nicht sofort. »Ja?« »Er heißt Harold Kane. Er ist ... er arbeitet in
    der Werft in London. Als Vorarbeiter!«
    »Ein Mann?«, fragte ich ungläubig.
    »Ja, natürlich ein Mann«, erwiderte Mum etwas ärgerlich. »Was denn sonst?«
    Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich war keine vier Monate von daheim fort, da wandelte
    meine Mutter schon auf Freiersfüßen. Schließlich war ich alt genug, zwei und zwei
    zusammenzählen zu können. Wenn sie davon sprach, dass sie einen Mann kennen gelernt hatte, und
    praktisch im selben Atemzug erwähnte, sie werde nicht mehr lang bei Tante Edith wohnen, dann
    hieß das, dass sie sich in diesen Harold Kane verliebt hatte und wohl demnächst in seine
    Wohnung übersiedeln würde. Wie konnte das so schnell gehen? Daddy war tot, England befand sich
    im Krieg, Hitler schickte sich an, die Welt zu erobern, und ich hatte evakuiert werden müssen -
    und bei alldem hatte meine Mutter nichts Besseres zu tun, als sich nach einem neuen Mann
    umzuschauen. Ich fand das peinlich und fast ein wenig würdelos.
    Außerdem merkte ich, dass ich auch ein wenig neidisch war. Meine
    Liebesgeschichte mit Chad verlief nach wie vor höchst einseitig und bewegte sich nicht recht
    vom Fleck, aber Mum hatte sich im Handumdrehen einen Kerl geschnappt, der wahrscheinlich bereit
    war, sie zu heiraten. Ich wäre jetzt an
    der Reihe gewesen. Ich war jung. Mum, die mir mit ihren zweiunddreißig Jahren aus meiner
    damaligen Sicht steinalt vorkam, hatte schließlich den wichtigsten Teil ihres Lebens bereits
    gelebt.
    »Wieso arbeitet er auf der Werft?«, fragte ich mit einem giftigen und herausfordernden Unterton
    in der Stimme. »Wieso kämpft er nicht im Krieg?«
    Mum seufzte, weil sie die Provokation begriff und Schwierigkeiten auf sich zukommen sah. »Er
    ist freigestellt«, erklärte sie, »weil er kriegswichtige Arbeit verrichtet.«
    Ich hätte gern so etwas wie Drückeberger gemurmelt, wagte es aber nicht. Ich hatte eine Ahnung, dass Mum sehr wütend
    darauf reagieren könnte. Zudem war es vermutlich nicht gerecht. Auch Arvid

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