Das Areal: Thriller (German Edition)
hatte. Weil ein Menschenleben weniger zählte als das Geheimnis. Der Mann hier und dessen Kollegen mussten die Folgen ihrer Berichte gekannt haben, und es hatte ihnen nichts ausgemacht.
»S ollt ihr sie erschießen, wenn sie auf die Straße treten?«, fragte Turner. »O der sollt ihr damit warten, bis ihr wisst, wer sie sind und wo sie wohnen?«
Als der Mann ihn nur wortlos anglotzte, schlug Turner erneut zu, immer wieder. Der Typ hatte die Gegenwehr längst eingestellt. Körper und Gehirn hatten in den Überlebensmodus geschaltet, hofften, jeder Schlag werde der letzte sein. Der Schmerz wurde ausgeblendet. Schließlich sackte er in sich zusammen und keuchte: »I ch weiß es nicht. Ich weiß nur, dass man manchmal etwas unternehmen muss. Befehle ausführen. Das ist unser Job. Ich habe Ihr Foto gesehen. Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich weiß, dass wir nach Ihnen suchen.«
Aufgrund der ausgeschlagenen Zähne – inzwischen lagen drei davon am Boden – hatte Turner Mühe, ihn zu verstehen. »U nd man hat euch keinen Grund genannt? Woher habt ihr das Foto?«
»I ch weiß es nicht. Ehrlich nicht.«
»W er ist euer Boss, euer Vorgesetzter oder wie zum Teufel ihr den nennt?«
»C hief Lieber sagt uns, was wir tun sollen. Wir sind in der Fellman Elementary stationiert. Da hält er sich ständig auf.« Der Typ schluckte mühsam das Blut, das sich in seinem Mund angesammelt hatte. Sagte: »H ören Sie, ich habe eine Frau und zwei Töchter. Bitte …«
Er trug keinen Ehering. »O kay.« Turner sah auf die Uhr. »L etzte Frage, dann sind wir fertig. Diese Typen auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses, sind das Kollegen von dir? Dieselbe Firma, der gleiche Job?«
Der Blick des Mannes war von Schmerzen getrübt, doch es lag ein Hoffnungsschimmer darin. Vielleicht hatte er ja wirklich Familie. »J a«, sagte er. »D ie gehören zu uns. Die sollen das Kommen und Gehen der Personen überwachen, an denen wir interessiert sind.«
»D anke.«
Der Blick des Mannes war noch immer voller Hoffnung, als Turners Kugel sein zerschundenes Gesicht durchschlug und in der Toilettenwand stecken blieb. Mit einem Lumpen malte Turner mit Blut ein »A « im Kreis an die Wand und strich es durch. Das Areal hatte den Mann geholt, und damit war für Turner die Sache erledigt. So war das nun mal. Außerdem war es eine Botschaft an seine Kollegen. Turner musterte den Toten und wusste, er hätte sich schuldig fühlen sollen. Er hatte einen Menschen getötet, der keinen persönlichen Groll gegen ihn hegte. Hatte über ihn geurteilt, obwohl er nur ein Mitläufer war. Vielleicht hatte er wirklich eine Frau und zwei Kinder, die jetzt auf sich allein gestellt waren. Turner aber empfand nichts als traurige Leere und tief in seinem Innern auch Wut. Als er vor Jahren in Südamerika tätig gewesen war, hätte er dergleichen erwartet. Von den Leuten, gegen die er arbeitete, von sich selbst. Wer nicht für einen war, stellte entweder eine Informationsquelle dar oder konnte beseitigt werden, war eine Gefahr, die es zu neutralisieren galt, oder ein Kollateralschaden, der von beiden Seiten als hinnehmbar angesehen wurde. Menschen wurden auf ihre Nützlichkeit reduziert oder als bloße statistische Größen betrachtet. Mit seiner Verpflichtung für den Geheimdienst hatte er auf eine Frau, auf Familie und ein normales Leben verzichtet und war schließlich in einem Slum gelandet, wo er von solchen Leuten gejagt wurde. Anführer oder Mitläufer, sie waren alle gleich.
Der Dreck am Boden knirschte unter seinen Füßen, als er hinausging, jede Scherbe ein Teil dessen, was hätte sein können, ein zersplitterter Diamant. Jetzt musste er rauskriegen, ob die Männer auf dem Hausdach gegenüber mehr wussten als der Mann aus der Bar.
24
K ate, in der ewigen Nacht unterhalb der Stadt. Wahrnehmungsfetzen, jeweils ein paar Sekunden lang, wie beim Erwachen aus unruhigem Schlaf. Mit dem Kopf nach unten hängend und mit dem Gesicht gegen stinkende Kleidung stoßend. Über der Schulter eines Mannes liegend, mit ihrem Gewicht auf ihm lastend. Atemnot und taube Beine. Schmerz, ein tiefes, dumpfes Pochen, das alles andere überlagerte und mit jedem schwankenden Schritt im Dunkel vom Hinterkopf ausstrahlte. Nein, es herrschte nur Halbdunkel. Der orangefarbene Schein einer trüben Glühbirne, der Schatten des Mannes vergrößert und verzerrt hinter ihnen auf dem Tunnelboden. Ein schwankender Koloss, den sie gleichwohl mit Übelkeit erregender Sicherheit wiedererkannte.
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