Das Attentat
okay.
Ich stand, wie mir schien,
endlos lange da, aber da sich weiter nichts ereignete, bekam ich Mut und stieß
die Tür auf. Die dahinterliegende Küche hatte etwa die Größe meiner gesamten
Wohnung und war zudem leer. Die Kaffeekanne stand auf dem Herd, ein stummes
Symbol der Solidarität zwischen Köchin und Wachmann. Aber ich hatte keine Zeit,
eine Tasse zu trinken.
Die innere Tür der Küche führte
zum hinteren Korridor, und da ich hier die Wahl hatte, wandte ich mich nach
links. Am Ende des Korridors befand sich eine verschlossene Tür, aber wie das
Pfadfindermädchen war ich vorbereitet. Ich nahm den Schlüsselbund aus meiner
Tasche, und der vierte Schlüssel paßte . Die Tür ging
langsam auf, und ich konnte förmlich meine Augen herausspringen hören —
irgendwie mußte ich ein Zeitschloß in Bewegung
gesetzt und dabei die Schwelle der Historie überschritten haben.
Der Raum war aufs prachtvollste
eingerichtet. Die gepolsterten und mit üppigem Seidenbrokat tapezierten Wände
schimmerten im Licht der geschickt verborgenen indirekten Beleuchtung. Statt
einer Zimmerdecke war da ein riesiges Rechteck aus Spiegelglas, das getreulich
die darunterliegende Szene aus Tausendundeiner Nacht wiedergab.
In der Mitte des Raums stand
ein riesiges Bett. Gemalte blitzende Schlangen wanden sich über dem Kopfende,
das klare, tiefe Leuchten echter Smaragde in ihren Augen. Ein schwarzer
Satinüberzug, dessen herabhängende Kanten zu beiden Seiten den knietiefen
weißen Wollteppich liebkosten, war über das Bett gebreitet. Auf diesem Bezug
saß, einen prachtvollen Kontrast bildend, Cleopatra.
Ihr kupferblondes Haar hing
lose, fast bis zu der schmalen Taille reichend, den Rücken hinab. Sie trug ein
absolutes Minimum aus wertvollen Steinen, angefangen von der diamantenbesetzten
Tiara auf ihrem Kopf bis zu dem massiv goldenen Sklavenfußring um einen
Knöchel.
Zwei winzige goldene Kappen
bedeckten die Spitzen ihrer kleinen Brüste. Auf ihrem Nabel glitzerte ein
Solitär, und ein schmaler Streifen Goldlamé schmiegte
sich um ihre runden Hüften. Ihre Oberschenkel umgaben feingehämmerte
Goldreifen, an denen zierliche Silberglöckchen hingen. Der mürrische Ausdruck
auf ihrem Babygesicht war das einzige, was nicht zu der ganzen phantastischen
Erscheinung paßte .
Ich blinkerte zweimal und
konnte es noch immer nicht fassen. Sie schwang die Beine mit einer schnellen
Bewegung vom Bett, stand auf und machte zwei klingelnde Schritte auf mich zu.
»Wer sind Sie?« fragte sie mit gepreßter Stimme. »Was wollen Sie?«
Die Haarfarbe und die
Ähnlichkeit reichte völlig aus, um zu erkennen, wer sie war, auch wenn die
leichte Narbe an der Innenseite ihres rechten Schenkels nicht sichtbar gewesen
wäre.
»Wagen Sie ja nicht, mich
anzurühren«, sagte sie plötzlich mit schriller, von einem hysterischen Ausbruch
nicht mehr weit entfernten Stimme.
»Sachte, sachte«, krächzte ich.
»Sind Sie Lily Teal ?«
»Und wenn?«
»Ich heiße Wheeler«, sagte ich.
»Lieutenant Wheeler.« Ich fand, es sei keine Zeit, ihr zu erzählen, daß ich als
Folge meines Vergewaltigungsversuchs an ihrer Schwester nur noch Exlieutenant war. Selbst wenn ich dabei hereingelegt worden
war, bedurfte es bei einem Mädchen einer ganzen Weile, um etwas Derartiges zu
begreifen. Und was wir im Augenblick nicht besaßen, war Zeit.
»Sind Sie gekommen, um mich aus
diesem entsetzlichen Haus wegzuholen?« fragte sie atemlos. »Mir fliehen zu
helfen?«
»Ich bin der edle Ritter im
glänzenden Harnisch«, bestätigte ich. »Aber in diesem Fall sollten wir machen,
daß wir fortkommen.«
»Gut«, sagte sie aufgeregt und
trat zwei weitere Klingelschritte auf mich zu.
»Können Sie diese Dinger nicht
abstreifen?« stöhnte ich.
»Leider nicht«, sagte sie
hilflos. »Sie sind um meine Beine geschlossen, und er hat den Schlüssel dazu.
Ich weiß nicht einmal, was er mit meinen Kleidern gemacht hat.« Sie begann,
leise zu weinen, wobei ihr die Tränen langsam über das Gesicht rollten; und sie
sah noch mehr wie eine Babypuppe aus als zuvor. Ich mußte der Versuchung
widerstehen, auf den Solitär zu drücken und zu sehen, ob sie nicht »Mama«
schrie.
»Da bleibt für Sie nichts
anderes übrig, als mitsamt Ihren Glöckchen mitzukommen, daran ist nichts zu
ändern«, sagte ich betreten. »Hoffentlich ist Grossman in lyrischer Stimmung,
wenn er sie hört, und bildet sich ein, es seien die lieben kleinen Schäfchen, die von der Weide heimkehren.«
Ich ergriff sie beim
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