Das Bernstein-Teleskop
Füße mit Blutmoossalbe einreiben, schloss dabei die Augen und biss die Zähne zusammen.
Unterdessen war der Chevalier wieder tätig gewesen. Er steckte den Magnetstein weg und sagte: »Ich habe Lord Roke unsere Position durchgegeben. Man schickt uns einen Gyropter, der uns aufnimmt, sobald ihr mit eurem Freund gesprochen habt.«
Will nickte. Lyra verzog keine Miene. Dann richtete sie sich müde auf und zog Strümpfe und Schuhe an, ehe sich alle noch einmal auf den Weg machten.
Noch eine Stunde, dann lag der größte Teil des Tals bereits im Schatten. Will fragte sich, ob sie vor Einbruch der Nacht wohl noch einen Unterschlupf finden würden, als Lyra plötzlich vor Freude und Erleichterung einen Jauchzer tat.
»Iorek! Iorek!«
Sie hatte ihn vor Will erkannt. Der Bärenkönig befand sich immer noch in ziemlicher Entfernung von ihnen und sein weißer Pelz war vor der Schneefläche kaum zu erkennen. Doch als er das Echo von Lyras Stimme vernahm, hob er den Kopf, richtete sich auf, hielt die Nase in den Wind und kam den Berghang hinunter auf sie zugesprungen.
Ohne Will zu beachten ließ der Bär sich von Lyra umarmen. Sie legte ihr Gesicht in seinen Pelz, wobei der Bär so tief brummte, dass Will es durch die Füße spürte. Lyra aber bereitete das Dröhnen ein solches Vergnügen, dass sie da rüber augenblicklich die wunden Füße und die Erschöpfung vergaß.
»Oh, Iorek, mein Guter, ich bin ja so froh, dass du da bist! Ich fürchtete schon, dich nie wieder zu sehen - nach allem, was in Svalbard geschehen war. Ist Mr. Scoresby heil durchgekommen? Wie stehen die Dinge in deinem Königreich? Bist du ganz allein hier?«
Die kleinen Spione waren verschwunden; allem Anschein nach hielten sich jetzt nur noch das Mädchen, der Junge und der große weiße Bär auf dem in Dunkelheit getauchten Berghang auf. Als ob dies immer ihr Platz gewesen wäre, kletterte Lyra auf Ioreks Rücken, als ihr der Freund aus alten Tagen dies anbot, und ritt freudig und stolz das letzte Stück Wegs bis zur Höhle des Bären.
Will war in Gedanken versunken und achtete nicht auf das, was sich Lyra und Iorek zu erzählen hatten. Nur einmal hörte er sie entsetzt aufschreien und ausrufen:
»Mr. Scoresby - oh nein! Das ist ja schrecklich. Ist er wirklich tot, bist du dir ganz sicher, Iorek?«
»Die Hexe sagte mir, er sei auf der Suche nach einem Mann namens Grumman gewesen«, antwortete der Bär. Will hörte nun aufmerksamer zu, denn Baruch und Balthamos hatten ihm hierüber berichtet.
»Was ist geschehen? Wer hat ihn getötet?«, fragte Lyra mit gebrochener Stimme.
»Er starb im Kampf. Er hielt eine ganze Kompanie Moskowiter in Schach, damit der andere Mann entkommen konnte. Ich habe seine Leiche gefunden. Er starb als tapferer Mann. Ich werde ihn rächen.«
Lyra ließ ihren Tränen freien Lauf. Will wusste nicht, was er sagen sollte, denn dieser unbekannte Mann war gestorben, damit sein Vater gerettet wurde. Lyra und der Bär hatten Lee Scoresby gekannt und geliebt, er ihn hingegen überhaupt nicht.
Bald darauf bog Iorek ab und hielt auf den Eingang einer Höhle zu, die sich als dunkles Loch vor dem Schnee abhob. Will wusste zwar nicht, wo sich die Spione versteckt hatten, doch war er sich ganz sicher, dass sie sich irgendwo in der Nähe aufhielten. Er wollte in Ruhe mit Lyra sprechen, aber erst, wenn er die Gallivespier sehen und sich sicher sein konnte, nicht von ihnen belauscht zu werden.
Er stellte seinen Rucksack am Höhleneingang ab und setzte sich erschöpft auf den Boden. Hinter ihm machte Iorek ein Feuer, und Lyra schaute, obwohl ihr Kummer noch nicht vergessen war, neugierig dabei zu. Iorek hielt ein Stück Flintstein in der linken Vorderpfote und schlug drei- oder viermal gegen einen ähnlichen Stein auf dem Boden. Jedes Mal flog ein Funke gerade dorthin, wo ihn Iorek haben wollte: in einen Haufen aus Reisig und trockenem Gras. Schon bald züngelten die ersten Flammen, Iorek warf den ersten Holzscheit ins Feuer, dann einen zweiten und noch einen, bis das Feuer kräftig loderte.
Die Kinder freuten sich über das wärmende Feuer, denn die Luft war sehr kalt. Und dann kam für sie noch etwas Besseres, nämlich eine Keule, vielleicht von einer Ziege. Iorek aß sein Fleisch selbstverständlich roh, doch die Keule spießte er auf einen spitzen Stock und legte sie für die beiden zum Braten über das Feuer.
»Gibt es hier in den Bergen genug Wild zum Jagen, Iorek?«, fragte Lyra.
»Nein. Mein Volk kann hier nicht
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