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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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zogen sich zusammen. Das Antlitz verfinsterte sich. So kannte sie ihn seit langem.
    »Ihr wisst doch: Der ehrenwerte Kaufmann Gerke hat diese Essenz von meiner Mutter bekommen. Elend soll er daran gestorben sein. Auch Ihr schwebt in großer Gefahr. Die ganze Kaufmannschaft im Kneiphof spricht bereits davon. Bei Eurem letzten Zusammenbruch in Apotheker Heydrichs Laboratorium habe ich mich angeblich der Tropfen bedient, um Euch ins Leben zurückzuholen. Alle sollten mich für Eure Retterin halten, nur damit ich Euch und Euren Sohn besser umgarnen kann. Da ich Christoph also gewonnen habe, gibt es jetzt nichts, was mich aufhält, Euch so schnell als möglich ins Jenseits zu befördern – mit Hilfe meiner gefährlichen Tropfen.«
    »Ach, Kindchen«, schmunzelte der alte Kepler und griff nach ihrer Hand, um den Becher zu nehmen. Bedächtig setzte er ihn an die Lippen und leerte ihn in einem Zug. Anschließend reichte er ihn ihr zurück, wischte sich die Lippen und sank zufrieden in die Kissen zurück.
    Erstaunt wurde Carlotta im selben Moment gewahr, wie sehr seine Miene der seines Sohnes glich. Abgesehen von dem dunkleren Teint und dem braunen Haar grub sich bei ihm am Kinn dieselbe Kerbe wie bei Christoph ein. Die Züge im Gesicht wurden insgesamt sanfter und passten damit so gar nicht mehr zu der finsteren Anmutung, die ihm die grobe Nase und die buschigen Augenbrauen verliehen. Die Ähnlichkeit der beiden zu erkennen, versetzte ihr einen Stich. Hilflos sah sie zu Christoph, um doch einen entscheidenden Unterschied auszumachen. Jäh zuckte sie zurück. Das Lächeln des Geliebten schien ein Spiegelbild seines Vaters zu sein.
    »Vielleicht genieße ich es, dank Eurer Essenz verhext zu werden«, erklärte der Alte. Spöttisch zuckte es um seine Mundwinkel, in den braunen Augen leuchtete es schalkhaft. Carlotta mochte nicht glauben, was sie da gerade entdeckte. Sie sah genauer hin, doch sie täuschte sich nicht: Es war dasselbe schelmische Grinsen!
    »Ihr hättet mich viel früher schon in Euren Bann ziehen sollen«, fuhr Kepler fort, »dann wäre uns allen so manches Leid erspart geblieben. So aber hat mich letztens erst die Witwe Gerke darauf gebracht. Erst als sie meinte, Christoph wäre dank des Rauchs, den der verbrannte Bernstein in Eurer Diele verströmt hat, verhext worden, ist mir alles klargeworden. Vor Schreck ist mir regelrecht das Herz stehengeblieben! Schlagartig wusste ich, was hier gespielt wird: dieselbe elende Lügengeschichte, mit der man einst meine Großmutter fast auf den Scheiterhaufen gebracht hätte, sollte auch Euch und Eure Mutter ins Feuer befördern! Doch Zauber, Hexerei und dunkle Magie in der Heilkunde, wie Ihr und Eure Mutter sie betreibt – wer mag denn an solchen Unsinn glauben? Es tut mir aufrichtig leid, verehrtes Fräulein Carlotta. Sehr lange habe ich nicht begriffen, worum es der Witwe Gerke und so manch anderem im Kneiphof geht: Man will Euch und Eure Mutter entweder mit Schimpf und Schande aus der Stadt vertreiben oder aber am besten gleich ins Feuer werfen. Den Singeknecht’schen Besitz wollen sie sich unter den Nagel reißen, einzig darum ist es ihnen zu tun. Gerade nach dem plötzlichen Tod ihres Gemahls ist die Witwe Gerke Eurer Mutter gram. Seit Ihr vor vier Jahren so kurz vor Ablauf der Frist aufgetaucht und den Erbanspruch erhoben habt, zürnen sie Euch schon. Doch nicht mit mir, meine Liebe! Und wenn ich einen weiteren Herzanfall erleiden muss, das zu verhindern.«
    Entschlossen schob er sich in den Kissen höher und hob mahnend den Zeigefinger. »So wahr ich der Leibarzt des durchlauchtigsten Kurfürsten und der langjährige Stadtphysicus der Königsberger Altstadt bin, werde ich fortan alles daransetzen, dem bösen Spuk gegen Euch ein Ende zu bereiten. Die Tinkturen und Rezepturen, die Eure Mutter und Ihr vertreibt, dienen nichts anderem als der Genesung. Das werde ich schwarz auf weiß bezeugen. Wer anderes behauptet, soll es vor der ehrwürdigen Fakultät beweisen.«
    Erschöpft sank er in die Kissen zurück. Sogleich sorgte sich Carlotta wieder um ihn: Abermals war er kreidebleich geworden. Andererseits schien das ein besseres Zeichen, als wenn sein Gesicht tiefrot und die Adern an den Schläfen blau angeschwollen wären. Zumindest schlug sein Herz gleichmäßig, und er bekam ausreichend Luft.
    »Was aber das Wichtigste ist«, setzte er mit leiserer Stimme hinzu. »Nehmt Euch dieses Nichtsnutzes hier an.« Er wies mit der Hand matt auf seinen Sohn. »Mir scheint,

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