Das blaue Haus (German Edition)
Dane zog sich in den Waschbereich zurück und ließ kaltes Wasser über seine Hände laufen.
„Hy“, gab Julie voran.
„Hy“, kam es aus der Waschecke zurück.
„Morgen ist es soweit.“
„Ja“, kam es wieder aus der Waschecke. Was wollte sie heute wissen?
Dane sah sichtlich erfrischt aus, als er bei Julie am Fenster Platz nahm. Er hatte durch die Kälte draußen wieder Farbe im Gesicht bekommen. „Wo ist Ragee?“, fragte er und sah sie an.
Heute hatte sie kein Rouge aufgelegt, und das Haar fiel ihr offen über die Schultern. Sie trug ein dickes Baumwollkleid und Pelzstiefel. Sie musste wohl ausprobieren, worauf er reagierte.
„Bei Dr. Bauer“, antwortete sie und spürte seinen Blick auf ihrem Gesicht.
„Um wieder früher raus zu kommen?“
„Nein. Schmerzen in der Brust.“
Dane erschrak. „Was?! Seit wann?“
„Heute Nacht. Nichts Ernstes. Hat er öfter. Er will noch nicht sterben, deswegen sitzt er bei Dr. Bauer.“
„Beruhigend“, sagte Dane zu sich selbst.
Julie sah aus dem Fenster. Warum waren seine Antworten nur immer so kurz? Er gab ihr nicht den Funken einer Gelegenheit, ein lebhaftes Gespräch zu beginnen.
„Heute schneit es nicht“, bemerkte sie, um dem Gespräch einen neuen Anfang zu geben.
„Die Luft ist gut“, sagte er knapp.
„Wie lange warst du draußen?“
„Weiß nicht. Vielleicht eine Stunde.“
„Das ist lange fürs erste Mal.“
Das erste Mal, dachte Dane. Ihr erstes Mal. War sie etwa noch Jungfrau? Warum er? Sie war hübsch, unverkennbar hübsch. Und es würde ihm sicherlich nicht allzu viel Mühe bereiten, sich an ihrem schönen Körper zu erfreuen, wenn er nur wollte. Doch da war Sarah. „Ich hätte noch länger gekonnt“, antwortete er gedankenverloren.
„Vielleicht nachher noch einmal.“
„Ja, vielleicht.“
„Was macht deine innere Ruhe?“
„Große Suchaktion.“
„Kann ich mitsuchen?“
„Du nimmst mir die Kraft dafür.“
Julie musste kichern, und Dane war wütend über die zweideutige blöde Bemerkung. „Wir reden wieder dummes Zeug“, versuchte er seine misslungene Ablehnung zu retten.
„Vielleicht können wir nur das.“
„Früher habe ich anders geredet – und gerne.“
„Und heute?“
„Nichts von beidem.“
„Warum? Was war früher, dass heute nicht mehr ist?“
Seine Hände lagen wieder gefaltet auf dem Tisch. Sie legte ihre dicht dazu, berührte ihn aber nicht. Sie hatte in der Nacht von seinem Körper geträumt. Das hatte sie eskalieren lassen.
Er hatte einmal in der Nacht an sie gedacht – nicht ihres Körpers wegen, sondern wegen ihrer Fragen, die vielleicht zu einer bösen Falle werden könnten. Er tappte gerade in eine hinein. „Früher ...“
Ragee kam in das Zimmer und rettete Dane vor einer folgenschweren Antwort.
„Scheiße noch mal!“, pfiff er durch die Zahnlücke. „Nichts haben die gefunden! Alles bestens! Nicht ein Herzschlag geht falsch! Herrgott! Was mag das sein?“
Dane sah auf. „Vielleicht bin ich es.“ Er war froh, nicht den Worten ausgeliefert zu sein, die er fast ausgesprochen hätte. Ragee schaute zurück, verharrte und nickte stumm. Er schmiss den Bademantel über den Stuhl und stieg verärgert in sein Bett. Sein alter Körper strotzte vor Kraft und Energie, seit Dane da war. Er nahm Julie kaum wahr. Ein zusammengeknittertes Papiertaschentuch fiel aus dem Bade-mantel zu Boden. Julie hob es auf und verabschiedete sich kurz. Ragee sollte ihre Fragen nicht hören; er sollte ihre Absichten nicht sehen – noch nicht. Doch das hatte er längst. Sie lächelte Dane an der Tür kurz zu. Er konnte nicht lächeln. Dann war er allein mit Ragee und fühlte sich besser.
„Wie war es draußen?“, fragte der Alte, als er die nassen Schuhe unter der Garderobe stehen sah.
„Es hat gut getan.“
„Was hat dich beschäftigt?“
„Ich habe versucht, an Sarah zu denken.“
„Ich habe nicht gefragt, was du versucht hast. Ich habe gefragt, was dich tatsächlich beschäftigt hat.“
„Die neue Kleidung; wie sehr sie mir gefällt.“
„An was?“
„Na, an die Hose, die Schuhe – alles. Es ist lange her, als ich solche Kleidung getragen habe. Ich habe mich gut gefühlt.“
„Weißt du, was du hast?!“
Dane sah auf. Einen Knall, dachte er.
Ragee sprang aus seinem Bett und postierte sich mit geballten Fäusten in der Hüfte vor Dane.
„Was?“, fragte Dane und glaubte, ziemlich dumm dreinzuschauen.
„Du hast zum ersten Mal in der Zeit hier im Krankenhaus an etwas wirklich Wichtiges gedacht, nämlich an eines der vielen
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