Das blaue Zimmer
bedeckt, und jedes Regal war gerammelt voll mit Büchern. Ebenso überraschend waren die Möbel. Ein großes Sofa, ein eleganter Brokatsessel, eine kostspielige Ste reoanlage mit Stapeln von Langspielplatten. Überall auf dem schlichten Holzfußboden lagen Teppiche, die Oliver schön fand und für kostbar hielt. Im Kamin brannte ein Feuer, und auf dem Granitsims stand eine erstaunliche Uhr aus Gold und türkisblauer Emaille, deren sich langsam drehender Mecha nismus hinter Glas sichtbar war.
Alles war, wenn auch unordentlich, reinlich und tadellos in Schuß, und auch Ben Fox hatte etwas von dieser Reinlichkeit, als er den Elektrokocher mit Wasser füllte und einstöpselte, dann Tassen, einen Krug Milch und eine Zuckerschale holte. Als der Tee fertig war, setzten sich alle drei an den gescheuerten Tisch, und die Männer unterhielten sich, ohne Oliver in ihr Ge spräch einzubeziehen. Er saß mucksmäuschenstill und warf zwischen Schlucken glühendheißen Tees verstohlene Blicke auf das Gesicht seines Gastgebers. Er war überzeugt, daß es da ein Geheimnis gab; die ausdruckslosen Augen verwirrten ihn.
Als die Zeit zum Gehen kam, sagte er, der nichts zur Unter haltung beigetragen hatte: „Danke.“ Das Schweigen, das darauf folgte, war verwirrend. Er fügte hinzu: „Für den Tee.“
Es kam kein Lächeln. „Gern geschehen“, sagte Ben Fox. Das war alles. Es war Zeit, zu gehen. Sie trieben die Kuh und das Kalb zusammen und machten sich auf den Heimweg. Bevor sie in die schmale Schlucht hinunterstiegen, drehte Oliver sich auf der Hügelkuppe um, um zum Abschied zu winken, aber der bärtige Mann war verschwunden, ebenso sein Hund, und als Oliver Will vorsichtig den steilen Pfad hinab folgte, hörte er, daß das Kreischen der Kettensäge wieder einsetzte …
Als Will die Lücke in der Mauer einzäunte, fragte Oliver: „Wer ist der Mann?“
„Ben Fox.“
„Weißt du sonst nichts über ihn?“
„Nein, und ich will auch nichts wissen, es sei denn, er erzählt es mir von sich aus. Jeder Mensch hat ein Recht auf sein Pri vatleben. Warum soll ich mich in seine Angelegenheiten einmi schen?“
„Wie lange wohnt er schon hier?“
„Zwei Jahre.“
Er fand es erstaunlich, daß man zwei Jahre mit jemand be nachbart sein konnte und trotzdem nichts über ihn wußte.
„Vielleicht ist er ein Verbrecher. Auf der Flucht vor der Polizei. Er sieht aus wie ein Seeräuber.“
„Du darfst einen Menschen nie nach seinem Aussehen beur teilen“, ermahnte ihn Will. „Ich weiß nur, daß er Kunsthand werker ist und anscheinend nicht schlecht verdient. Die Miete bezahlt er regelmäßig. Was soll ich sonst noch über ihn wissen wollen? Jetzt halt mal den Hammer, und ich nehm dieses Ende von dem Draht …“
Später versuchte Oliver Sarah auszuquetschen, aber sie war auch nicht mitteilsamer als Will.
„Kommt er euch manchmal besuchen?“ wollte er wissen.
„Nein. Wir haben ihn Weihnachten eingeladen, aber er sagte, er wäre lieber allein.“
„Hat er Freunde?“
„Keine engen. Aber manchmal kann man ihn samstags abends in der Kneipe sehen, und die Leute scheinen ihn zu mögen… Er ist nur sehr zurückhaltend.“
„Vielleicht hat er ein Geheimnis.“ Sarah lachte. „Hat das nicht jeder?“
Vielleicht ist er ein Mörder. Der Gedanke schoß ihm durch den Kopf, aber er war zu schrecklich, um ihn auszusprechen.
„Er hat das Haus voll mit Büchern und kostbaren Sachen.“
„ Ich glaube, er ist ein gebildeter Mann.“
„ Vielleicht sind die Sachen gestohlen.“
„Das glaube ich kaum.“
Sie machte ihn wahnsinnig. „Aber Sarah, willst du es denn nicht wissen?“
„Ach Oliver.“ Sie zauste ihm die Haare. „Laß den armen Ben Fox in Frieden.“
Als sie an diesem Abend beim Feuer saßen, kam Wind auf. Zu erst ein sachtes Wimmern und Pfeifen, dann stärker, er brauste durchs Tal, schlug mit kräftigen Stößen an die dicken Mauern des alten Hauses. Fenster klirrten, Vorhänge wehten. Als Oliver ins Bett ging, lauschte er eine Weile ehrfürchtig auf das wütende Stürmen. Hin und wieder ließ der Wind nach, und dann konnte Oliver das Toben der Brecher an den Klippen hin ter dem Dorf hören.
Er stellte sich vor, wie die gewaltigen Sturzwellen heranroll ten, dann dachte er an das tote Kaninchen und den schwebenden Falken und all die Schrecknisse dieser urzeitlichen Landschaft. Er dachte an das kleine Haus, schutzlos hoch oben auf dem Hügel, und an Ben Fox darin, mit seinem Hund und sei nen
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