Das Böse in dir
wirklich eine gute Partie. »Ich nehme an, du warst schon mal da.«
»Ja, einige Male. Ich hatte geschäftlich in Peking zu tun und war als Redner zu ein paar Kongressen eingeladen. Außerdem wollte ich unbedingt über die Chinesische Mauer gehen.«
»Und ist es wirklich so toll?«
»Darauf kannst du wetten. Der Anblick ist erstaunlich. Es ist ein wunderschönes Land und wird dir gefallen. Allerdings darfst du dort deine Waffen nicht tragen. Die Gesetze sind streng.«
»Dann streich den Ausflug. Ich habe Feinde auf der ganzen Welt. China ist da vermutlich keine Ausnahme.« Eigentlich sollte das ein Scherz sein, aber wer weiß? Das Unheil scheint seine Mittel und Wege zu haben, mich aufzuspüren.
»Ich bezweifle, dass du weltweit auf der Hut sein musst. Doch dass du genug Schwierigkeiten hattest, steht fest. Es hat zum letzten Mal gegongt. Lass uns unsere Plätze suchen.«
Und, ja, wirklich, wir saßen nicht nur in der ersten Reihe, sondern auch noch genau in der Mitte. Blacks Fähigkeit, das Unmögliche möglich zu machen, war einfach erstaunlich und ausgesprochen praktisch in den Varietés von Branson, ganz zu schweigen von großen Hotelbetten. Die Vorstellung der Beijing Acrobatic Troupe begann mit viel Geräusch und Musik und etwa zwanzig hübschen jungen Asiatinnen, die Teller auf langen Stangen rotieren ließen. Das ganze fand im Schein von bunten Laternen statt, die im abgedunkelten Theater wundervoll zur Geltung kamen. Die Mädchen trugen verschiedene Schattierungen von Gelb, Rosa und Violett, und ihrer Darbietung folgte pausenlos ein erstaunliches Kunststück nach dem anderen. Es war, wie ich zugeben muss, eine unterhaltsame Vorstellung, voller atemberaubender Akrobatik, mystischer Musik und geschmeidiger orientalischer Tänze. Es gab sogar ein paar Zaubertricks, ein wundervolles Luftballett und spielerische Tänze. Jede Showeinlage war rasant und spannend. Und habe ich schon die Artisten in ihren gelben Trikots erwähnt, die sieben Meter hohe menschliche Türme bauten? Auch die Broschüren waren nicht schlecht.
Gleich zu Anfang sah ich im Programm nach, wann Mr und Mrs He auftreten würden. Ihre Darbietung war gegen Ende der Show an der Reihe. Wie sich herausstellte – und was mich aufmerken ließ –, waren die Eltern des vermissten Mädchens ausgezeichnete Schlangenmenschen und konnten sich in sämtliche Himmelsrichtungen verbiegen. Allerdings fügte sich dieses akrobatische Talent goßartig in meine hässliche kleine Gleichung ein. Das bedauernswerte Mächen im Pizzaofen hatte sich nämlich zusammengeklappt wie ein Gartenstuhl aus Alu.
Nachdem ein ganz und gar nicht angenehmes Bild besagten Küchenmordes vor meinem geistigen Auge erschienen war, gab ich es auf, mich an den bunt umherwirbelnden Akrobaten und den Trommlern zu erfreuen, saß neben Black und dachte gründlich über meinen Fall nach. Ich wollte unbedingt mit den beiden zierlichen und so überaus gelenkigen Menschen sprechen, die ich gerade auf der großen hell erleuchteten Bühne gesehen hatte, und erfahren, was sich hinter ihrem breiten Bühnenlächeln tat. Die Show musste weitergehen, ganz gleich, was auch geschah, selbst wenn die eigene Tochter verschwunden war. Und so lächelten sie und verbogen sich dabei, dass Brezelbäcker daneben wie Amateure ausgesehen hätten.
Als das Ende endlich kam, der große Vorhang fiel und die Lichter angingen, stemmten wir uns gegen den dem Ausgang zustrebenden Zuschauerstrom und steuerten auf eine Tür zu, die wir – hauptsächlich wegen des schwarzweißen Schildes mit der Aufschrift PRIVAT: ZUTRITT VERBOTEN – für den Bühneneingang hielten. Ich beseitigte dieses Hindernis, indem ich dem chinesischen Wachmann, der dort stand und in seinem schwarzen Pyjama wie ein waschechter Ninja aussah, meine Dienstmarke zeigte.
Wir beharrten darauf zu bleiben, während er den Hes mitteilte, dass ich sie zu sprechen wünschte. Fünf Minuten später kehrte der Wachmann zurück und meldete, es ginge in Ordnung. Also folgten wir Ninja-Joe einen langen Flur entlang, der von begabten Akrobaten in schimmernden, eng anliegenden Spandexanzügen wimmelte. Ihre Make-up-Schichten hätten sogar Gnade vor den Augen von Pamela Anderson gefunden. Überall wimmelte es von Bühnenarbeitern, und alle redeten auf Mandarin oder in einem anderen asiatischen Kauderwelsch durcheinander. Ich hätte den Unterschied jedenfalls nicht erkannt. Sie beäugten uns neugierig, als hätten sie noch nie einen leibhaftigen Amerikaner hinter
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