Das Böse unter der Sonne
können sie nicht vergessen, nicht wahr?»
«Ich glaube, dass irgendein gemeiner verrückter Kerl sie umbrachte.»
«Nein, ich bin nicht überzeugt, dass es so war», entgegnete Poirot.
Linda holte tief Luft. «Das klingt, als ob Sie – als ob Sie Bescheid wüssten.»
«Vielleicht weiß ich Bescheid.» Er zögerte einen Moment. «Bitte, glauben Sie mir, mein Kind», sagte er dann, «dass ich mein möglichstes tun werde, um Ihnen bei Ihren Schwierigkeiten zu helfen.»
Linda sprang auf. «Ich habe keine Schwierigkeiten!», rief sie. «Sie brauchen nichts für mich zu tun. Ich weiß gar nicht, wovon Sie eigentlich reden.»
«Ich spreche von den Kerzen…», sagte Poirot und beobachtete sie dabei scharf. Er sah, wie sich ihre Augen vor Schreck weiteten.
«Ich will nichts hören!», rief sie. «Ich will nichts hören!» Sie rannte den Strand entlang, schnell wie eine junge Gazelle, und verschwand den Zickzackweg hinauf.
Poirot schüttelte den Kopf. Er sah ernst und besorgt aus.
11
« I ch habe etwas entdeckt, Sir», berichtete Inspektor Colgate, «eine sensationelle Entdeckung! Es handelt sich um Mrs Marshalls Vermögen. Ich habe mir die Unterlagen bei ihren Anwälten angesehen und muss sagen, es war ein ganz schöner Schock für die. Ich habe nämlich Beweise für die Erpressergeschichte. Sie erinnern sich doch, dass der alte Erskine ihr fünfzigtausend Pfund hinterließ? Tja, also, alles, was davon noch übrig ist, sind ungefähr fünfzehntausend.» Der Polizeichef stieß einen Pfiff aus. «Und wo ist der Rest?», fragte er.
«Das ist ja das Interessante an der Sache, Sir! Von Zeit zu Zeit hat sie Aktien verkauft und sich dafür jedes Mal Bargeld geben lassen – und das bedeutet doch, dass sie jemand Geld gab und nicht wollte, dass es herauskommt. Also Erpressung!»
Der Polizeichef nickte. «Genau danach sieht es aus. Und der Erpresser ist hier im Hotel. Was bedeutet, dass er einer der drei fraglichen Männer sein muss. Haben Sie über die noch mehr herausgefunden?»
«Möchte ich nicht behaupten, Sir. Nichts Definitives. Major Barry ist ein pensionierter Armeeoffizier, genau wie er sagte. Er wohnt in einer kleinen Mietwohnung, hat eine Pension und ein kleines Einkommen aus ein paar Aktien. Aber im letzten Jahr hat er beträchtliche Summen auf sein Bankkonto eingezahlt.»
«Das klingt viel versprechend. Wie erklärt er das?»
«Er behauptet, es seien Wettgewinne. Es stimmt, dass er zu allen großen Rennen geht. Er platziert seine Wetten am Schalter, nicht beim Buchmacher.»
Der Polizeichef nickte. «Schwierig, ihm was anderes nachzuweisen. Aber es ist doch viel versprechend.»
«Dann haben wir da Pfarrer Stephen Lane», fuhr Colgate fort. «Er hat auch keine weiße Weste. Er war Pfarrer von St. Helen in Whiteridge, einem Ort in Surrey. Vor einem Jahr ging er in Pension – wegen Krankheit. Diese Krankheit veranlasste ihn, sich in eine Nervenheilanstalt zu begeben. Er war dort mehr als ein Jahr.»
«Interessant», sagte Weston.
«Ja, Sir. Ich habe versucht, den leitenden Arzt so gründlich wie möglich auszuhorchen, aber Sie wissen ja, wie diese Mediziner sind, Sir. Es ist schwierig, sie auf irgendetwas festzunageln. Aber soviel ich erfahren habe, war das Problem des Pfarrers, dass er sich vom Teufel besessen glaubte, und zwar vor allem von einem Teufel, der als Frau erschien, als die Verführung in Person – die Hure von Babylon.»
«Hm», machte Weston. «Für Mord aus solchen Motiven gibt es Präzedenzfälle.»
«Ja, Sir. Es scheint, dass Stephen Lane zumindest als möglicher Täter in Frage kommt. Die verstorbene Mrs Marshall war das Musterbeispiel einer Verführerin, wie ein Pfarrer sie sich vorstellt – sogar die Haare und alles andere auch. Es wäre nicht undenkbar, dass er sich berufen fühlte, sie zu erledigen. Das heißt, wenn er wirklich nicht alle Tassen im Schrank hat.»
«Nichts, was bei ihm auf unsere Erpressertheorie hinweist?»
«Nein, Sir. Ich glaube, was das anbetrifft, so ist er sauber. Er besitzt etwas Vermögen, nicht sehr viel, und auf seinem Konto tauchen keine großen Eingänge auf.»
«Was ist mit seiner Geschichte, wo er am Tag des Mordes war?»
«Niemand kann sie bestätigen. Niemand erinnert sich, den Pfarrer gesehen zu haben. Und was das Besucherbuch in der Kirche betrifft: die letzte Eintragung war drei Tage alt. Zwei Wochen lang hatte vorher niemand reingesehen. Er hätte ganz einfach einen oder zwei Tage früher hingehen und seine Eintragung auf den
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