Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
die Wildnis getrieben, und dort, so fürchte ich, ist Unheil über ihn gekommen, oder falls er noch lebt, ist er vielleicht in die Gewalt der Orks geraten.‹ Da weinte Mavwin abermals, flehte den König um Beistand an und sagte: ›Ja, wahrlich, ich würde wandern,bis ich kein Fleisch mehr an den Füßen hätte, wenn ich nur am Ende der Reise das Antlitz sehen könnte von Túrin, Sohn Úrins, den ich über alles liebe.‹ Jedoch der König erwiderte, er wisse nicht, wo anders sie ihren Sohn suchen könne als in Angamandi, und dorthin wolle er keinen seiner Untertanen schicken, wenn sein Herz auch des Mitleids voll sei für die Leiden von Úrins Volk. In der Tat sprach der König nur aus, was er für angemessen hielt, und wollte Mavwins Kummer nicht vermehren, sondern sie nur von einer solchen törichten und todbringenden Suche zurückhalten, doch Mavwin hörte ihm nicht länger zu, schied von ihm, ging hinaus in die Wälder und duldete nicht, dass jemand bei ihr blieb, und nur Nienóri folgte ihr, wohin sie auch ging.
Die Untertanen Tinwelints blickten nun mit Freundlichkeit und Mitleid auf die beiden, wachten im Verborgenen über sie und bewahrten sie insgeheim vor mancher Unbill, so dass die beiden wandernden edlen Frauen ihnen vertraut und manchem lieb wurden; doch boten sie einen so erbarmungswürdigen Anblick, dass jeder, der sie vorbeikommen sah, von Hass auf Melko und seine Werke ergriffen wurde.
Es geschah nun, dass Mavwin viele Monde später mit einer Schar wandernder Gnomen zusammentraf, und als sie mit ihnen ins Gespräch kam, erzählten diese ihr alles, was ihnen über die Geschichte der Rodothlim zu Ohren gekommen war und auch, dass Túrin bei diesem Volk gewohnt habe. Sie sprachen auch von der Vernichtung der Wohnstätten dieses Volks durch Melkos Knechte und von dem Drachen Glorund, denn diese Ereignisse waren damals neu und in aller Munde. Sie nannten nun Túrin nicht beim Namen, sondern hießen ihn Mormakil, einen wilden Mann, der vor dem Antlitz Tinwelints geflohen und danach aus den Händen der Orks geflüchtet sei.
Da wurde Mavwins Herz mit Hoffnung erfüllt, und sie wollte mehr von ihnen wissen, doch die Noldoli sagten, soweit sie wüssten, sei niemand lebend der Plünderung entkommen, bis auf jene, die nach Angamandi verschleppt worden seien, und darauf sanken Mavwins Hoffnungen wieder. Trotzdem begab sie sich zurück zu den Hallen des Königs, erzählte ihm diese Geschichte und erbat seine Hilfe gegen den Foalóke. Mavwin glaubte nun, dass Túrin vielleicht noch immer in der Knechtschaft des Drachen lebe und es ihnen auf irgendeine Weise gelingen könne, ihn zu befreien; überdies glaubte sie, die Tapferkeit der Männer des Königs werde ausreichen, den Drachen zur Vergeltung seiner bösen Taten zu töten, so dass er vor seinem Tode sein Wissen um das Schicksal Túrins offenbaren werde, falls dieser tatsächlich nicht mehr in der Nähe der Höhlen der Rodothlim zu finden war. Der gewaltige Schatz, den der Drache bewachte, bedeutete ihr wenig, doch zu Tinwelint sprach sie viel davon, ebenso wie die Noldoli es ihr gegenüber getan hatten. Nun lebte Tinwelints Volk in den Wäldern und verfügte über wenige Reichtümer, doch wie alle Eldar liebte es edle und schöne Dinge, Gold und Silber und Edelsteine, die Noldoli jedoch verlangte besonders heftig danach; auch der König war nicht anderen Sinnes, und seine Schätze waren gering, abgesehen von dem ruhmreichen Silmaril, den zu besitzen manch ein König alle seine aufgehäuften Schätze hingegeben hätte.
Darum erwiderte Tinwelint: ›Nun sollst du Hilfe haben, o Mavwin, du Hartnäckigste. Jedoch ich sage dir unverblümt, dass ich sie dir nicht gewähre, weil ich hoffte, Túrin dadurch zu befreien, denn solche Hoffnung lese ich nicht aus dieser Geschichte, sondern eher den Tod der Hoffnung. Es ist vielmehr wahr, dass ich einen Schatz brauche und begehre, und es ist möglich, dass er mir durch dieses Unternehmen zufällt;doch die Hälfte der Beute sollst du bekommen, o Mavwin, zur Erinnerung an Úrin und Túrin, oder du magst sie für Nienóri, deine Tochter, verwahren.‹ Darauf erwiderte Mavwin: ›Nein, gib mir nur eine Kate im Wald und meinen Sohn.‹ Und der König sagte: ›Das vermag ich nicht, denn ich bin bloß ein König der wilden Elben und kein Vala von den Inseln des Westens.‹
Darauf versammelte Tinwelint eine ausgesuchte Schar seiner Krieger und Jäger und verkündete ihnen seine Absichten, und es schien, als sei der Name des
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