Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
währenddessen Laurelin angestarrt hatte, sprach zuletzt, und er sagte: ›Ich weiß nicht, woher ich komme, weiß weder wie ich hergekommen bin noch wo ich hingehen werde. Die Welt, in der wir sind, ist mir nur wie ein einziges großes Wunder, und wie mir scheint, liebe ich sie von ganzem Herzen, doch sie erfüllt mich ganz und gar mit Sehnsucht nach Licht.‹
Da erkannte Manwe, dass Ilúvatar in den Herzen der Eldar jegliches Wissen um die Art ihres Kommens ausgelöscht hatte, und dass die Götter dies nicht entdecken sollten; und tiefesErstaunen erfüllte ihn. Jedoch auch Yavanna, die zugehört hatte, war überrascht, und sie ward tief getroffen von den Worten Inwes, es verlange ihn nach Licht. Dann blickte sie auf Laurelin, ihr Herz dachte an die fruchtbeladenen Gärten Valmars, und dann flüsterte sie mit Tuivána, die neben ihr saß und sich an der sanften Anmut der Eldar erfreute; und dann sprachen diese beiden zu Manwe: ›Wahrlich! Die Erde und ihre Schatten sind kein Ort für so schöne Wesen, wie sie einzig das Herz und der Geist Ilúvatars ersonnen haben. Schön sind die Kiefernwälder und die Dickichte, doch sind sie voll von unelbischen Geistern, Mandos’ Kinder gehen umher, und Vasallen Melkos lauern an unheimlichen Orten – und wir selbst wollen den Anblick dieses freundlichen Volks nicht entbehren. Ihr fernes Lachen ist von Palisor an unsere Ohren gedrungen, und wir möchten seinen Widerhall immer hören in unseren Hallen und Lustgärten in Valmar. Lass die Eldar bei uns wohnen, und der Brunnen unserer Freude wird aus neuen Quellen gespeist werden, die nicht versiegen können.‹
Da erhob sich ein Lärm unter den Göttern, und die meisten sprachen für Palúrien und Vána, wogegen Makar sagte, Valmar sei für die Valar erbaut – ›und schon jetzt ist es eher ein Rosengarten für schöne Frauen als ein Wohnort für Männer. Warum wollt ihr es mit den Kindern der Welt bevölkern?‹ Darin gab ihm Meásse recht, und Mandos und Fui hatten weder für die Eldar warme Gefühle noch für andere Wesen sonst; Varda hingegen unterstützte Yavanna und Tuivána leidenschaftlich, und wahrlich, ihre Liebe zu den Eldar ist unter allen, die in Valinor wohnten, immer die größte gewesen; und Aule und Lórien, Orome und Nessa und Ulmo verkündeten mit größtem Nachdruck ihren Wunsch, man möge die Eldar bitten, bei den Göttern in Valinor zu wohnen. Deshalb war es die einhellige Meinung des Rates, obgleich Osse dagegen sprach – vielleichtwegen seiner immer schwelenden Eifersucht und Widerspenstigkeit, die er gegen Ulmo hegte –, die Eldar dazu aufzufordern, und die Götter warteten nur auf den Spruch Manwes. Ja sogar Melko, den Wunsch der Mehrheit erkennend, schloss sich schmeichlerisch und arglistig der Bitte an und hat dennoch seit jenen Tagen die Valar verleumdet. Nur aus Neid und Eifersucht auf deren Schönheit, so sagte er, hätten die Valar die Eldar in ihr Gewahrsam gerufen. So belog er später oft die Noldoli, wenn er ihre Ruhelosigkeit anstacheln wollte, und er allein, fügte er entgegen der Wahrheit hinzu, habe sich der allgemeinen Meinung widersetzt und für die Freiheit der Eldar gesprochen.
Vielleicht wäre die Welt jetzt tatsächlich ein schönerer Ort, und die Eldar wären ein glücklicheres Volk, wenn die Götter anders entschieden hätten, doch niemals hätten sie solchen Ruhm, solches Wissen und solche Schönheit erlangt wie einst, und noch weniger hätten Melkos Pläne ihnen Nutzen gebracht.
Nachdem er nun alles gehört hatte, was gesagt worden war, verkündete Manwe seinen Spruch, und er war froh, denn auch sein Herz wünschte, die Eldar aus der umdüsterten Welt in das Licht Valinors zu führen. Er wandte sich an die drei Eldar und sprach: ›So geht denn nun zurück zu euren Sippen, und Nornore soll euch rasch dorthin bringen, direkt nach Koivie-néni in Palisor. Vernehmt nun dies: Es ist der Beschluss Manwe Súlimos und der Wunsch der Valar, dass das Volk der Eldalie, die Kinder Ilúvatars, nach Valinor ziehen und dort im Glanz Laurelins und im Schein Silpions wohnen und die Glückseligkeit der Götter teilen sollen. Eine Wohnung von wundervoller Schönheit sollen sie ihr Eigen nennen, und die Götter werden ihnen helfen, sie zu bauen.‹
Darauf erwiderte Inwe: ›Glücklich sind wir wahrlich überdieses Angebot; und welcher der Eldalie, die schon die Schönheit der Sterne mit Sehnsucht erfüllten, wird rasten und ruhen, bis das gesegnete Licht Valinors seine Augen erquickt hat?‹
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