Das Disney World Komplott
es ihm möglich war und hielt den Blick auf den Fußboden gesenkt. »Ich habe einen Termin bei Miss Rendine.«
Die junge Bibliothekarin blickte kaum auf. »Sie muß jeden Moment wiederkommen.«
Krill tat, als schaue er auf seine Armbanduhr, und hoffte, daß der Frau der Umfang seines Unterarms nicht auffiel, der ihm das Tragen einer Uhr unmöglich machte. »Ich bin zeitlich sehr knapp dran«, seufzte er. »Könnten Sie mir vielleicht verraten, wo sie ist? Es dauert bestimmt nicht lange.«
In dem Archiv roch es nach Leder. Die dunklen Bücher an den Wänden verliehen dem klimatisierten Raum eine düstere Atmosphäre.
»Erzählen Sie mir, was es mit diesen Leuten, zu denen auch Harry Lime gehörte, auf sich hatte«, forderte Blaine, während Gloria Rendine sich an das hinterste Regal lehnte. »Erklären Sie mir, um was es sich bei der Operation Offspring gehandelt hat.«
»Dafür muß ich sehr weit ausholen«, gab sie zur Antwort.
»Sicherlich bis zu Ihrer Rekrutierung von Nazi-Wissenschaftlern für die sogenannte Fabrik. Das war wohl Ihre erste Sammlung, nehme ich an.«
»Stören Sie sich daran? Wer von sich behauptet, etwas von Geschichte zu verstehen, sollte sich darüber nicht wundern. Sie waren uns weit voraus. Unter diesen Umständen wäre es Dummheit gewesen, sie und ihre herausragenden Fähigkeiten nicht zu unserem Vorteil zu nutzen.«
»Zumal sie sicher dafür dankbar waren, nicht eingesperrt oder hingerichtet zu werden.«
»So haben wir ihre Loyalität gewonnen. Wir haben sie gerettet.«
»Und umgekehrt dachten Sie, könnten Sie von ihnen gerettet werden.«
»Nicht wir, die Nation.« Gloria Rendine trat zu dem einzigen Schreibtisch in dem Raum und stützte die Hände auf die Tischplatte. »Es kommt immer auf die Perspektive an.« Sie zögerte. »Reden wir doch ein bißchen über Ihren Anteil an der Geschichte dieses Jahrhunderts, über die Kämpfe, an denen Sie teilgenommen haben. Sie waren in Vietnam.«
»Man sieht es mir an, was?«
»Ich jedenfalls bemerke so etwas gleich. Sie haben geglaubt, daß Sie dort drüben das Richtige tun. Andernfalls wäre es Ihnen unmöglich gewesen, die Pflichten, die Sie hatten, zu erfüllen.«
»Völlig klar.«
»Na, und wir haben damals auch geglaubt, das Richtige zu tun. Wir standen einem anderen Feind gegenüber, in einem anderen Konflikt. Aber auch wir meinten, es läge die dringende Notwendigkeit vor, den Gegner zu schlagen oder wenigstens daran zu hindern, daß er siegt. Denken Sie daran, was in den fünfziger Jahren hier los war, an die McCarthy-Paranoia oder an die Kommunistenpanik. Die Kommunisten, hieß es, landen nicht eines Tages in Flugzeugen, sie beziehen die Nachbarwohnung. Solchen Unfug haben wir damals ernstgenommen. Nackte Hysterie, das war es doch?«
McCracken nickte.
»Dann müßten Sie doch verstehen, daß wir sämtliche Maßnahmen für angebracht hielten, daß uns jedes Mittel recht war, um die Gefahr abzuwenden. Und wenn das hieß, deutsche Wissenschaftler für uns zu verpflichten, die uns mit bedeutendem Fachwissen auf Gebieten helfen konnten, auf denen wir noch im dunkeln tappten, dann mußte es eben so sein.«
»Und so hat man den deutschen Wissenschaftlern die Fabrik gebaut.«
»Sie machen sich davon eine völlig falsche Vorstellung«, entgegnete die Frau. Sie sprach schnell und mit brüchiger Stimme, der man inzwischen die Jahre anhörte. »Es gab nie eine einzige, bestimmte Fabrik. Vorwiegend arbeiteten die Wissenschaftler voneinander unabhängig, und sie merkten in den seltensten Fällen, wie sehr wir uns bald auf ihre Gesamtheit verließen. Jeder hielt sich für eine besondere Ausnahme, nicht für den Mitwirkenden an etwas Größerem, sondern für ein einsames Genie.«
»Ich denke mir, daß Sie sogar darauf Wert gelegt haben, sie voneinander zu isolieren. Gemeinsam hätten sie ganz schön schwierige Gegenspieler abgegeben.«
»Natürlich wußten wir, was wir taten. Ich war Chefkoordinatorin und habe in dieser Eigenschaft entschieden, welche Projekte die Weiterverfolgung lohnten und welche man einstellen sollte.«
»Und dazu zählte auch die Operation Offspring.«
»Es war das letzte Projekt, das von mir genehmigt wurde«, erklärte Gloria Rendine. »Ich hätte ihm meinen Segen nicht erteilt, wäre der Wissenschaftler, von dem der Vorschlag stammte, nicht gleichzeitig der Urheber unserer wichtigsten wissenschaftlichen Fortschritte gewesen. Dieser Mann hatte uns schon vorher den Weg zu unbegrenzten Aussichten und
Weitere Kostenlose Bücher