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Das Doppelgrab in der Provence

Das Doppelgrab in der Provence

Titel: Das Doppelgrab in der Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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zu wichtigen oder angenehmen Plätzen der Provence. In Arles erstand Matzbach ein lateinisches Wörterbuch und die neuesten französischen Ausgaben der Werke von Edmund Demlixh; in der städtischen Bibliothek ließ man ihn einige ältere Editionen der gleichen Titel betrachten, allesamt erschienen im Lauf der vergangenen zehn Jahre.
    Nach einem bescheidenen Mittagessen in Arles navigierte Matzbach den Wagen über den Deich der südlichen Camargue nach Les Saintes-Maries-de-la-Mer, von dort zu einem gemütlichen Kaffeetrinken in Nîmes. Kurz vor Sonnenuntergang schritten sie gemessenen Fußes den Pont du Gard ab und erreichten in völliger Dunkelheit wieder das Hotel in Les Baux. Erschöpft von Städten, römischen Bauwerken und Sand ergaben sie sich den Freuden eines Nachtmahls. Danach machte sich Baltasar daran, mit Hilfe des Wörterbuchs eine genaue Übersetzung des Testaments anzufertigen. Sie saßen im Speiseraum; Ariane las und sah gelegentlich auf die tintigen Krähenspuren, mit denen Baltasar seine Fortschritte festhielt.
    »Maharbal schreibt dies. Bald werde ich der Mutter des untergegangenen Karthago meine Ruder zurückerstatten; die Schatten sind schon länger. Ich wurde geboren im Jahr nach Zama; nun, da auch der jüngere Africanus gestorben ist, wünsche ich, daß mir der Fährmann eine andere Unterwelt zuweise als ihm.
    Mein Besitz soll der Rache oder der Vergebung dienen, wie der Finder es beschließt. Ich habe an vier Stellen, die ein rüstiger Greis zu Fuß erreichen kann, Goldmünzen, Silbermünzen und zweimal kostbare Steine vergraben, dazu an drei Stellen diesen Hinweis in meiner Sprache, der Sprache meiner letzten Heimat und der des Feindes. Wenn nicht Äonen verstreichen, wird alles zu finden sein. Berge verfallen und Flüsse vertrocknen, doch hinterläßt für eine Zeit alles Spuren im Fließen.
    Da Rom uns den Handel nicht mehr erlaubte, gab mein Vater mich griechischen Handelspartnern aus Massalia mit, so blieb ich doch Karthager und war freier Grieche zugleich, denn Massalia erlitt noch nicht das Los von Korinth und Karthago. Ich habe alle Meere befahren und bin zu Land bis zur Mauer gereist, an der die Welt vor China endet. Die Lehren und Geschichten des Ostens sind geschrieben und liegen bei dem Gold. Die Kenntnisse des Südens, die Geheimnisse der Großen Bibliothek sind bei dem Silber. Das Wissen der Eichenpriester des Nordens und Westens, zusammengefaßt auf Papyrus, ist bei den Steinen, wie es sich ziemt.
    Vom Morgen an der Mauer bin ich gereist bis zum Sonnenuntergang jenseits des Ozeans, dorthin, wo meine Ahnen schon waren, ehe die Römer wußten, daß Gadir bestand. Die letzte Reise zu Wasser und Land führte mich von der Nordspitze der kleineren Insel im Nordwesten über Arausio zum kleinen Hafen östlich Massalias, von dort nach der Wüste, die Karthago nun ist, und über Syrakus nach Samos. Zwei Tagesreisen südwestlich von Korkyra wurde mir eine Vision aus der senkrechten Sonne zuteil; sie enthüllte mir eine Landschaft Illyriens, am Danubius, die ich nie wieder sehen werde. Ich rate allen, die nach mir dies Meer befahren, den Blick auf die Küste bei Syrakus von Süden zu suchen. Dreimal heilig die Drei; die Vier, die dann folgt, verläßt die Fläche. Dies schreibt Maharbal im Nahen des Todes.«
    Ariane las, mühevoll aber zielsicher, Baltasars Charakterschrift. Sie gab ihm die Übersetzung zurück und schüttelte den Kopf. »Ich will nicht an deinen lateinischen Sprachkenntnissen zweifeln, aber bist du ganz sicher, daß das da steht?«
    »Ich bin.«
    »Und wirst du schlau daraus? Ich nicht.«
    Baltasar forderte einen letzten Rotwein an, setzte seine erloschene Zigarre wieder in Brand und lehnte sich zurück.
    »Nun ja«, sagte er, »teils teils. Dieser Mensch, wenn das keine Fälschung ist, stammt offensichtlich aus Karthago. Zama war, zweihundertzwei oder zweihundertdrei vor Christus, Hannibals Niederlage im Zweiten Punischen Krieg. Der jüngere Africanus ist, glaube ich, um die hundertdreißig oder hundertneunundzwanzig gestorben. Unser Testamentsautor war also ungefähr dreiundsiebzig oder vierundsiebzig Jahre alt, als er das geschrieben hat. Und er hat drei Testamente gemacht. Dies hier ist in der Sprache des Feindes, Latein.«
    »Erleuchte mich, o Herr«, bat Ariane. »Meine Kenntnisse in antiker Geschichte sind nicht besonders.«
    Matzbach holte tief Luft. »Die Karthager«, sagte er, »waren Händler mit Faktoreien überall im westlichen Mittelmeer und an der spanischen

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