Das Dorf der Mörder
schweren Körper trugen, geschwollen. Ihr Kittel sah nicht so aus, als ob sie ihn jeden Tag wechseln oder waschen würde. Fleischige, nackte Arme, wogende Brüste, durch einen ausgeleierten Büstenhalter von undefinierbarer Farbe mehr bedeckt als gestützt. Die grauen Haare, schlecht geschnitten und dünn und glatt wie Schnittlauch. Als sie näher kam und erst Cara, dann ihm die Hand entgegenstreckte, roch er säuerlichen Schweiß und Zwiebeln.
»Walburga Wahl, mit h, wenn’s beliebt. Mädchen, Mädchen. Was machst du denn hier?«
Ihr Blick, schneller und wacher als alles andere an ihr, flitzte von Cara zu Jeremy und wieder zurück.
»Das ist Jeremy Saaler. Er ist mein Psychologe. Ich darf einmal im Monat einen Nachmittag raus, wenn er mich begleitet.«
Walburga kniff die Augen zusammen, dann schüttelte sie den Kopf und lachte. Cara stimmte mit ein. Sie prusteten auf der Straße, als ob das der beste Witz aller Zeiten gewesen wäre, den nur Jeremy nicht verstand.
»Willste ’nen Saft?«, fragte Walburga und wischte sich eine kleine Träne aus den Augenwinkeln. »Und Sie, Herr Saaler? Einen Obstwein?«
Die Küche war altmodisch und im gleichen Zustand wie die Hausbesitzerin. Wahrscheinlich wie das ganze Haus, das seine Zeit als Gasthaus längst hinter sich hatte, wie Jeremy auf den ersten Blick feststellte. Das Wachstuch auf dem Tisch klebte, als er aus Versehen beim Hinsetzen seine Hand darauflegte. In der großen viereckigen Keramikspüle standen mehrere Teller und warteten auf den Abwasch. Walburga wieselte erstaunlich flink in die Speisekammer und kehrte mit zwei glücklicherweise noch nicht geöffneten Flaschen zurück.
Währenddessen hatte Cara drei Gläser ausgespült und auf den Tisch gestellt. Walburga gab in zwei von ihnen bis zur Hälfte Saft und holte dann einen Wasserkrug aus dem Kühlschrank, um den Rest damit aufzufüllen.
»Ist sonst zu süß«, erklärte sie. »Bruch’sche Pflaume. Und Ihr Wein ist Schwarzkirsche. Den mache ich selber.«
»Walburgas Obstwiesen sind ein Paradies.« Cara setzte sich und trank ihr Glas in einem Zug bis zur Hälfte aus. Jeremy schnupperte misstrauisch an der dunkelroten Flüssigkeit und kostete vorsichtig. Er schmeckte die wuchtige Süße von reifen Kirschen und einen Alkoholgehalt, der Richtung Likör tendierte.
»Sehr gut«, lobte er. »Aber ich glaube, ich muss ihn etwas strecken.«
»Bitte, bitte sehr.« Walburga schob ihm den Krug über den Tisch. Er stand direkt unter einem Fliegenfänger.
»Bewirtschaftest du sie noch?«, fragte Cara.
Walburga Wahl schüttelte den Kopf. »Schon lange nicht mehr. Aber erzähl, was treibt dich hierher? Ich sag’s lieber gleich, ich weiß das von deiner Schwester.«
Cara nickte. »Ließ sich ja wohl nicht vermeiden.«
»Tut mir leid. Obwohl das, was sie getan hat …«
»Sie hat es nicht getan.« Cara trank ihr Glas leer, Walburga beobachtete sie dabei und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das ist alles Lüge. Alles erfunden. Charlie ist keine Mörderin.«
»Soso. Tja.«
Jeremy goss sich Wasser in den Wein und hoffte, dass keine von den Fliegenleichen in den Krug gefallen war. Trotz dieser Todesfalle summten drei oder vier fette Brummer über der Spüle.
»Na ja. Leid tut es mir trotzdem. Hast ja genug mitgemacht. Ist was mit dem Hof?«
»Was soll denn mit dem Hof sein?«
»Der fällt langsam zusammen. Neulich war jemand vom Amt da und hat nachgesehen, was gesichert werden muss.«
»Ach ja? Von welchem Amt?«
»Weiß ich doch nicht. Ich sag nur, wenn da jemandem was passiert, bist du dran.«
Jeremy hörte zu und schwieg.
»Ich hab mit dem Hof nichts zu tun.«
»Nach Charlie gehört er dir. Ich dachte, das ist der Grund, warum du auf einmal auftauchst.«
Erstaunt wendete sich Cara an Jeremy. »Das wusste ich gar nicht. Ich dachte, wir hätten den Hof längst verloren.«
»Verloren.« Walburga kicherte. »So was verliert man nicht. Das bleibt wie Dreck am Schuh. Aber egal. Also nicht deshalb. Warum dann?«
»Sei nicht immer so neugierig. Hast du noch ein Eis?«
»Schon lange nicht mehr.« Walburga seufzte und sah sich um. »Es ist alles vor die Hunde gegangen.«
»Die Hunde …«
Cara schloss die Augen. Dann riss sie sie auf. »Akra … was ist aus Kerl geworden?«
»Den hat dein Vater doch eingeschläfert.«
»Ach so. – Und Bruno? Lebt er noch?«
»Schon lange nicht mehr. Das ist sein Enkel, der irgendwo draußen rumstromert. Er heißt auch Bruno. Ich hab sie alle Bruno genannt, ist
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