Das Drachentor ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
Licht verbreitete, das nicht blendete. Die Wände des Gangs waren aus sauber behauenen Steinblöcken und immer wieder mit Reliefs oder Wandmalereien geschmückt. Die Luft war ein wenig feucht, aber erstaunlich frisch. Bald verbreiterte sich der Gang zu einer gewölbten Halle, von der ein halbes Dutzend Torbögen in verschiedene Richtungen führten. Der Boden war mit einem prachtvollen Mosaik belegt, eiserne Kerzenhalter zierten die Wände.
»Wohin nun?«, drängte Astorin.
»Zum Grafen?«
»Wohin sonst«, schimpfte der Magier abfällig.
»Ich dachte, Ihr seid auf der Suche nach der Figur«, wandte Tonya ein.
»Natürlich, aber vorher werde ich den Grafen und seinen vermaledeiten Wolf ausschalten, damit sie mir nicht mehr in die Quere kommen können.«
Der Wolf knurrte und fletschte die Zähne. Tonya legte ihm die Hand in den Nacken. Er würde sich allein gegen den Magier verteidigen müssen. Sie konnte, sie dürfte dem Wolf dabei nicht helfen. Sie hatte von der Mutter Oberin den Auftrag erhalten, Astorin bei seiner Suche nach der Drachenfigur mit all ihren Kräften zu unterstützen, und es war undenkbar, gegen die Anweisungen von Mutter Morad zu handeln. Im Stillen versuchte sie, sich mit dem Wolf zu verständigen.
Lauf weg, dachte sie. Es ist nicht dein Kampf, und du wirst sterben, wenn du ihm in die Quere kommst. Fürs Erste hast du einen Sieg errungen, doch trotz deiner besonderen Fähigkeiten kannst du gegen die bösen Kräfte des Magiers nicht bestehen!
Vielleicht verstand er sie, doch er würde ihrem Rat nicht folgen. Er würde bleiben und gegen Astorin kämpfen, auch wenn es sein sicheres Verderben war. Er war seinem Herrn, dem Grafen von Draka, verpflichtet bis in den Tod. Eine tiefe Traurigkeit überfiel die junge Frau. Die letzten Worte von Mutter Morad fielen ihr wieder ein. Sie beide waren nur kleine Figuren in diesem Spiel und würden in Erfüllung ihrer Pflicht sterben.
Wann würde sich die Prophezeiung erfüllen? Waren sie ihrem Ziel schon so nah, dass sie es heute erreichen würden? Dann war ihr Tod vielleicht nur noch wenige Stunden entfernt. Sie hatte es versäumt, den Sonnenaufgang zu betrachten. War dies der letzte für sie gewesen? Ihr Körper begann unkontrolliert zu zittern. Der Wolf ließ sich vor ihr nieder und sah aus seinen klugen gelben Augen zu ihr auf. Er schien ihre Gefühle zu verstehen.
»Was ist nun? Durch welchen Bogen ist er gegangen?«, herrschte der Magier sie an. »Wenn wir weiter so trödeln, können wir gleich warten, bis er sich wieder aus seiner Holzkiste erhebt.«
»Es ist keine Holzkiste, sondern ein Sarkophag aus Obsidian«, widersprach Tonya, ohne nachzudenken. Erst als ihre Worte schon verhallt waren, stutzte sie.
Woher konnte sie das wissen? Und doch sah sie den massigen Block aus schwarzem Vulkangestein vor sich.
Der Magier zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Ungewöhnlich geduldig wartete er, während Tonya an den Torbögen entlangschritt, um die Spur des Grafen zu finden.
»Ich bin mir nicht sicher«, musste sie nach einer Weile zugeben. »Ich kann ihn hier und dort drüben spüren. Hier ist seine Fährte allerdings stärker.«
Astorin drängte sich an ihr vorbei durch den Bogen und kam zu einigen Kammern und Grüften, doch in keiner konnten sie den schwarzen Sarkophag finden.
»Was ist nun?«, schimpfte Astorin, als Tonya im letzten Raum stehen blieb und sich umsah.
Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Er ist hier gewesen, vor nicht allzu langer Zeit, da bin ich mir sicher.« Ratlos ließ sie den Blick schweifen. Dann erhellte sich ihre Miene.
»Aber natürlich. Er ist hier hinein und dann wieder in die Halle zurückgegangen. Deshalb ist seine Spur so deutlich. Und dann hat er den anderen Bogen gewählt, unter dem ich ihn nur schwächer ausmachen konnte.«
»Und was hat er hier gemacht?«
»Woher soll ich das wissen? Seht Euch um, ob Ihr etwas findet, das für ihn von so großem Interesse sein könnte, dass er es noch einmal aufsuchte, bevor er sich zur Ruhe legte.«
Sie maßen sich mit Blicken. Tonya wusste, dass die Mutter Oberin ihren aufsässigen Ton gerügt hätte, doch es fiel ihr immer schwerer, ihre Abneigung und ihren Unmut zu beherrschen.
Für dieses Mal ließ Astorin die Sache auf sich beruhen und sah sich stattdessen aufmerksam in der steinernen Kammer um. An den Wänden waren einige Nischen ausgespart, in denen verschiedene Gegenstände zu sehen waren: ein alter Leuchter, eine Katzenstatue, ein juwelenbesetzter
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