Das dunkle Netz der Lügen
Die beiden haben sich schnell verdrückt, weil sie nicht wussten, ob der Mörder noch in der Nähe ist.»
Zita schwieg. Dann sagte sie: «Uli, du musst mir Resi bringen. Es kann doch nicht mehr lange dauern, bis Kellererseine Zelte hier abbricht. Rein und wieder raus, wie du gesagt hast.»
«So schnell kann er nicht weg. Mina versucht, ihre Söhne wiederzubekommen, und der Prozess ist erst in ein paar Tagen. Und dann gibt es ja noch ein paar Häuser, die wir trockenlegen können.»
«Noch mehr Einbrüche?»
«Diese Stadt ist klein, Zita, aber die Leute sind unglaublich reich. Hinter all der grauen protestantischen Scheinheiligkeit verstecken sie Luxus und Pracht und tun nach außen bescheiden. Hier ist noch viel zu holen. Kellerer will, dass du weiter die Ohren spitzt.»
Zita seufzte. «Es wird schwieriger werden. Sie werden nicht mehr so offen über diese Dinge sprechen.»
«Im Modesalon der Frau des Polizeichefs? Wenn ein Ort sicher ist, dann doch dieser, oder? Und denk dran, Zita: Je mehr Hinweise du uns lieferst, desto länger bleiben wir hier – und damit auch deine Tochter.»
Sie nickte resigniert.
Es gab niemanden, mit dem Emil hätte reden können. Über die schlimmen Dinge, die Commissar Borghoff über seine Mutter gesagt hatte. Über den merkwürdigen, furchterregenden Mann, mit dem sie offensichtlich in Duisburg zusammenlebte, ohne seine Ehefrau zu sein. In Ruhrort waren nur Huren mit Männern zusammen, mit denen sie nicht verheiratet waren.
Es war ihm tatsächlich gelungen, sich ins Haus zu schleichen, ohne dass jemand etwas bemerkte. Jetzt lag er angezogen auf seinem Bett.
Es klopfte leise an die Tür. «Wer ist da?»
«Josef.»
«Komm herein.»
Josef trat ein, schloss die Tür und setzte sich auf den Stuhlneben dem Bett. «Wo warst du denn den ganzen Tag?», fragte er seinen Bruder. «Der Hauslehrer sagte, du wärst bei einer Beerdigung, aber ich wusste ja, dass du nicht dabei bist.»
«Ich war … unterwegs.»
«Glaubst du, ich weiß nicht, dass du bei ihr warst?»
«Bei wem?» Emil tat unschuldig.
«Bei Mutter. Und ich weiß auch, dass du schon öfter da warst. Gerhard Flesken hat dich in Duisburg gesehen.»
Flesken war ein ehemaliger Schulkamerad von Emil. «Gerhard, der redet viel …»
«Er hat niemandem etwas erzählt, wenn du das meinst. Aber er hat gedroht, es Onkel Georg zu sagen, wenn ich ihm kein Geld gebe.»
Emil setzte sich auf. «Geld? Wie viel?»
«Mein ganzes Taschengeld, das ich gespart hatte. Vier Thaler.»
«Das ist eine Menge Geld», sagte Emil. «Ich würd’s dir ja zurückzahlen, aber im Gegensatz zu dir gebe ich mein Geld aus.»
«Ja, das riecht man.» Josef rümpfte die Nase. «Du kannst es mir ja in Raten zahlen.»
«Du bist schon ganz wie Onkel Georg», fauchte Emil. Dann sprach er ruhiger weiter: «Ich werde dir das Geld zurückgeben. Aber Flesken wusste schon, warum er zu dir und nicht zu mir gekommen ist. Ich hätte ihm das Fell über die Ohren gezogen.»
Sie schwiegen eine Weile.
«Sie wird den Prozess verlieren», sagte Emil leise. «Onkel Robert hat irgendwelche schlimmen Dinge über sie zusammengetragen.»
«Dann werden die wohl stimmen.» Josef schien sich damit abgefunden zu haben, dass seine Mutter nicht die ferne Lichtgestalt war, die Emil in ihr sah.
«Wieso breiten immer alle Lügen über sie aus? Und wieso glaubst du denen und nicht ihr?»
«Weil Onkel Georg und Tante Aaltje immer gut zu uns waren. Sie machen keinen Unterschied zwischen dir und mir und ihren eigenen Kindern. Sie haben uns nicht im Stich gelassen und erst nach Jahren entdeckt, dass sie sich jetzt plötzlich um uns kümmern könnten. Wenn du mal ehrlich bist und nachdenkst über die Strafen, die Onkel Georg verhängt hat, dann musst du doch merken, wer die Menschen sind, die uns wirklich lieben.»
«Aber diese Leute machen Mutter schlecht, wann immer sie können. Sie verbreiten ständig Lügen über sie – aber das interessiert mich alles nicht. Ich weiß, dass sie uns liebt!» Josefs Worte machten ihn rasend.
«Ich sage ja nicht, dass sie uns nicht liebt. Aber sie hat uns auch im Stich gelassen. Und all diese Dinge, von denen sie reden und die sie nie wirklich beim Namen nennen, hat sie sicher getan. Warum sollten sie sich das ausdenken, vor allem Onkel Robert, der ist schließlich Polizist.»
«Du stehst also auch auf deren Seite», sagte Emil. «Wenn du so über Mutter denkst, dann bist du nicht mehr mein Bruder. Raus hier!», brüllte er.
Die Tür
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