Das Echo der Schuld
nicht.«
»Doch. Du weißt es.«
»Nein.«
»Du weißt es«, beharrte er und trat noch näher. Er stand jetzt dicht vor ihr. Sie roch die Seife, mit der er sich gewaschen hatte. Sein lächelnder Mund war zum Greifen nah. Sein Atem streifte ihre Wange.
Und zu ihrer Verwunderung verspürte sie nicht das Bedürfnis, zurückzuweichen.
Sie liebten sich den ganzen Tag über. Am Mittag verließen sie für zwei Stunden das Bett und liefen an den Strand, durch einen tobenden Sturm voller Wolken, Sonne und vereinzelten Regenspritzern. Sie rannten Hand in Hand am Wasser des Dunvegan-Fjords entlang, schmeckten Salzwasser auf den Lippen, rochen den Seetang. Sie waren die einzigen Menschen weit und breit. Die Möwen um sie herum wetteiferten in ihrem Kreischen mit dem Tosen des Sturmes, breiteten weit die Flügel aus und ließen sich in wilden Achterbahnflügen durch die Luft tragen.
Sie liefen, bis ihre Lungen und ihre Seiten schmerzten und sie beide rote Wangen von der frischen Luft hatten, dann kehrten sie eng umschlungen langsam zum Haus zurück und gingen wieder ins Bett. Sie machten weiter, wo sie aufgehört hatten, erschöpfter jetzt als am frühen Morgen, zärtlicher, ruhiger, geduldiger als zuvor. Seit den Tagen mit Andrew hatte sich Virginia nicht mehr zu einem Mann sexuell so stark und unvermeidlich hingezogen gefühlt wie zu Nathan. Sie konnte nicht genug bekommen, wollte ihn wieder und wieder, lag zwischendurch in seine Arme geschmiegt, spürte seinen Herzschlag an ihrem Rücken und fühlte, wie alles in sie zurückströmte, was sie vor so langer Zeit verlassen und was sie für immer verloren geglaubt hatte: Leben, Frieden, Zuversicht, Gelassenheit und Glück. Abenteuerlust und Neugier. Ein erwartungsvolles Vertrauen in die Zukunft.
Weil er da ist , dachte sie verwundert, nur weil er da ist, verändert sich alles.
Es war fast sechs Uhr am Abend, als sie feststellten, dass sie Hunger hatten.
»Und, ehrlich gesagt, auch Durst«, sagte Nathan und schwang seine Beine aus dem Bett, »außer dem Kaffee heute früh hatte ich nichts zu trinken.«
»Ich hatte nicht mal den«, meinte Virginia, »und bislang hat er mir auch nicht gefehlt.«
Sie zogen sich an, stiegen die steile Treppe hinunter und inspizierten die Speisekammer. Zum Glück gab es etliche Konserven, und es fanden sich auch einige Flaschen Wein. Sie stellten einen Weißwein kalt, dann machte sich Virginia an die Zubereitung des Essens, während Nathan Holz aus dem Garten holte und den Kamin im Wohnzimmer in Gang setzte. Virginia stand am Herd und blickte mit glänzenden Augen hinaus in den stürmischen Septemberabend, der ein unglaubliches Wechselspiel aus wolkenverhangener Düsternis und goldfarbenem Licht bot. Sie dachte auf einmal: Dies hier festhalten. Diese Stunden und Tage auf Skye. Zusammen mit diesem Mann. Nur ein bisschen noch, ein bisschen noch festhalten!
Im nächsten Moment wurde ihr bewusst, dass sie mit diesen Gedanken instinktiv zum Ausdruck brachte, wie abgegrenzt von der Welt draußen sich ihr Glück auf der Insel abspielte. Was immer zwischen ihnen noch geschehen würde, es konnte nur mit Problemen behaftet sein.
Im Kamin brannte ein warmes, knisterndes Feuer, und jenseits der Fenster senkte sich langsam die Dunkelheit über das Land. Nur schattenhaft noch waren die Bäume am Ende des Gartens wahrnehmbar, die sich tief unter dem Sturm bogen. Virginia und Nathan saßen direkt vor den Flammen auf dem Fußboden, verzehrten ihre einfache Mahlzeit, die ihnen köstlicher vorkam als alles, was sie je gegessen hatten, tranken den Wein, sahen einander immer wieder an, verwundert und bezaubert. Nach all den Tagen und Nächten, die sie zusammen in Ferndale verbracht hatten und während derer sie nicht auf die Idee gekommen wären, einander zu berühren, waren sie fassungslos über die Intensität der Leidenschaft, mit der sie sich konfrontiert gesehen hatten, nachdem das Festland hinter ihnen geblieben war und sie das Gefühl gehabt hatten, plötzlich in eine andere Wirklichkeit geraten zu sein.
»Wir werden zurückmüssen«, sagte Virginia nach einer Weile. »Skye und dieses Haus hier, das wird nicht für ewig sein.«
»Ich weiß«, sagte Nathan.
Sie schüttelte den Kopf, nicht ablehnend, nur erstaunt. »Ich habe Frederic noch nie zuvor betrogen.«
»Kommt es dir wie ein Betrug vor?«
»Dir nicht?«
Er überlegte. »Es geschah so zwangsläufig. Wir hätten nichts dagegen tun können. Seit ich das Bild von dir gesehen hatte, du weißt,
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