Das Echo der Schuld
Ungetümen mit weit ausladenden Kronen geworden, die zuverlässig jeden Sonnenstrahl abfingen, der sich in eines der Zimmer hätte verirren können.
Zu Frederic Quentins Erstaunen schien sich Virginia an dem Lichtmangel in ihrem selbst gewählten Zuhause nicht zu stören. Als sie zwei Jahre zuvor immer drängender dafür plädiert hatte, von London dorthin zu ziehen, hatte er vorgeschlagen, doch wenigstens die Bäume, die direkt am Haus standen, fällen zu lassen, um nicht in dem Gefühl leben zu müssen, nach und nach von dem Wald überwuchert und verschlungen zu werden.
»Nein«, hatte Virginia gesagt, »es gefällt mir, wie es ist.«
Es gab kein Personal im Haus. Seit fast fünfzehn Jahren wurde das Anwesen von einem Verwalterehepaar versorgt, das in einem kleinen Häuschen gleich an der Grundstückseinfahrt lebte, zehn Minuten zu Fuß vom Haupthaus entfernt. Grace und Jack Walker waren beide schon fast sechzig Jahre alt, sehr zurückhaltende, bescheidene und fleißige Leute. Jack unternahm noch gelegentlich Fahrten für Trickle & Son, ein Transportunternehmen, bei dem er früher fest angestellt gewesen war. Ansonsten kümmerte er sich darum, dass regelmäßig die Gärtner bestellt wurden, um den Park in Ordnung zu halten, und dass Schäden am Haus oder an der hohen Grundstücksmauer rasch repariert wurden. Vieles davon erledigte er selbst, andernfalls wusste er, wen man zu Hilfe holen musste. Grace putzte im Haupthaus, zumindest in dem Teil, der von der Familie Quentin bewohnt wurde. Ein ganzer Flügel stand leer, weil Virginia fand, es ergebe keinen Sinn, jeden Tag in fünf Salons spazieren zu gehen und abends zu grübeln, in welchem von vier Esszimmern man sein Dinner einnehmen wollte. Also hatte sie den größeren Teil des Hauses abgeriegelt, und nur einmal im Monat zog Grace dort mit einer Putzkolonne durch, ließ Staub wischen, lüftete und sah nach, ob an irgendeiner Stelle das handwerkliche Geschick ihres Mannes vonnöten war. Die Quentins bewohnten den Westteil: mit einer schönen, großen Küche, in der Virginia selbst kochte, einem Wohnzimmer, einer Bibliothek, die bei gesellschaftlichen Anlässen als Esszimmer diente, und vier Schlafzimmern. Von der Küche aus konnte man direkt nach draußen in den Park gelangen. Dort, auf einem der wenigen sonnigen Flecken, stand Kims Schaukel, und an der Wäscheleine daneben trocknete Virginia die Wäsche. Es war eine überschaubare kleine, dämmrige Welt.
Jeder Tag glich dem vorangegangenen. Wenn es irgendwo Gefahren gab, so spielten sie sich anderswo ab, weit weg, jenseits der Mauern, die den Park umschlossen. Jenseits der kleinen Abenteuer, die Kim in der Schule erlebte, und der Sorgen, die Grace manchmal mit Virginia besprach und bei denen es sich im Wesentlichen um die zu hohen Cholesterinwerte ihres Mannes handelte und um die Aspekte, unter denen Grace Walker die allgemeine Weltpolitik beleuchtete.
Es war nichts, was Anlass zur Beunruhigung gegeben hätte.
Es war das Leben, das Virginia Quentin für sich gewählt hatte.
Am Morgen des 24. August machte sich Frederic für eine Reise nach London fertig. Es war ein Donnerstag, was als Aufbruchstermin ungewöhnlich war, aber er hatte an zwei wichtigen Einladungen am Wochenende und am darauffolgenden Montag, auf den in diesem Jahr der Summer Bank Holiday, ein Feiertag, fiel, teilzunehmen.
Virginia fühlte sich ausgeruht und gut gelaunt. Sie freute sich auf den September, der nun bald beginnen würde und sein Nahen bereits unübersehbar ankündigte. Sie mochte die Zeit, wenn der Sommer langsam Abschied nahm und man schon wieder an Herbstfeuer, an lange Spaziergänge über neblige Felder, an rote Beeren und bunte Blätter dachte, und an lange Abende am brennenden Kamin, wenn draußen der Sturm um das Haus heulte.
Der Herbst war ihre liebste Jahreszeit.
Kim schlief noch. Virginia war bereits ihre übliche Strecke gelaufen und hatte sich besonders beeilt, um anschließend mit Frederic zum Abschied in Ruhe frühstücken zu können. Sie hatte ihm einen großen Teller gebratenen Speck und Eier hingestellt, dazu eine Tasse mit starkem Kaffee. Es war ein Frühstück, wie er es mochte, und es machte ihr Freude, etwas zu tun, was ihn glücklich stimmte. Sie aßen in der Küche. Vor dem Fenster lag irgendwo jenseits der hohen Bäume goldfarbener Morgensonnenschein, aber draußen hatte Virginia fröstelnd festgestellt, wie kühl es am Morgen bereits war.
Der Herbst hat schon begonnen, dachte sie.
In der Küche war
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