Das Erbe Der Nibelungen
hatte, ohne ein Wort gegangen, und Brynja hatte eine Weile gebraucht, ihre Sinne zu sammeln. Mit Wasser aus einem Trinkschlauch hatte sie sich gereinigt und sich dabei geschworen, niemandem von der Schmach zu erzählen. Jeder Versuch, Calders Verhalten als den Umständen angemessen zu entschuldigen, schlug fehl. Er hatte geraubt, was sie hatte verschenken wollen, und dafür hasste sie ihn. Es fiel ihr lange Zeit nicht auf, dass Sigfinn kein Wort sagte, und sie schrieb es dann seiner Konzentration und Entschlossenheit zu. Mit kräftigen Schritten marschierte er durch die Nacht, das Schwert an seiner Seite, und sie fühlte sich bei ihm sicherer als jemals zuvor. Brynja entschied, es ihm bei nächster Gelegenheit zu sagen.
Ein schriller Pfiff durchbrach das Dunkel.
Es war das vereinbarte Signal - sie waren entdeckt worden!
Einen Herzschlag später wurden sie angegriffen. Mehr Horden-Krieger, als überschaubar war, brachen aus dem Unterholz, kaum mehr als schwarze Schatten. Sie waren vollständig verwandelt, die Köpfe irgendwo zwischen Wolf und Bär, die Schwerter in knorrigen Klauenhänden, und trotz des gebückten Gangs größer als jeder normale Mann im Reich.
Die Rebellen hatten es nicht bis zum Fluss geschafft, an
dem sie die Horde abschütteln wollten. Vielleicht war es knapp gewesen, vielleicht hatten sie das Ziel auch weit verfehlt. Das war nun unwichtig. Mit einer glatten, geschmeidigen Bewegung nahm Brynja sich das Schwert von der Schulter, und im Ausfallschritt zur Seite zog sie die Klinge einem Horden-Krieger über die Brust. Es knirschte hässlich, denn ihr Schwert konnte seinen gepanzerten Wams nicht durchdringen. Ein leises Surren verleitete die Prinzessin, sich zu ducken, und ein schwerer Streithammer riss kaum eine Handbreit über ihrem Kopf ein faustgroßes Stück Holz aus einem Baum.
Es war zu dunkel, der Boden zu dicht bewachsen, um koordiniert zu kämpfen. Schemen mussten an ihrer Größe in Freund und Feind unterteilt werden, und niemand konnte auf Hilfe oder Rückendeckung aus den eigenen Reihen setzen. Neben sich hörte Brynja ein Röcheln, als einer der Rebellen von einer Klinge durchbohrt wurde, und sie betete, dass es nicht Sigfinn war. Mit zwei, drei schnellen Griffen erklomm sie einen Baum gerade hoch genug, um auf einen Feind warten zu können. Dem nächsten massigen Schatten warf sie sich auf den Rücken und hackte ihm die Klinge mit genug Wucht ins Genick, dass er fast den Kopf verlor und geräuschlos nach vorne sackte.
Doch es war nicht zu überhören - die meisten Todesschreie wurden von den Rebellen ausgestoßen, und ihre Reihen lichteten sich grausam schnell. An diesem Ort, zu dieser Zeit, war der Kampf nicht zu gewinnen, damit hatte Calder Recht gehabt. Brynja brauchte Sigfinn, um mit ihm die weitere Flucht zu planen. Der Gedanke war in ihrem Kopf nicht ausgeformt, da packte ein Arm sie am Kleid und zog sie an einen Baum, mit dessen mächtigem Stamm sie für einige Sekunden sicher verschmelzen konnten.
»Selten hatte ich so ungern Recht wie in diesem Moment«, zischte Calder ihr ins Ohr. »Jetzt geht es nur noch um das Leben jedes Einzelnen. Komm!«
»Nicht ohne Sigfinn!«, flüsterte Brynja mit fester Stimme.
»Vermutlich ist er längst gefallen«, entgegnete Calder. »Wir sollten es ihm nicht nachtun. Der Fluss ist ganz nah!«
»SIGFINN!«, schrie Brynja in die Nacht.
»BRYNJA!«, kam es einen Herzschlag später zurück.
»Na gut, vielleicht ist er noch nicht gefallen«, gab der Rebell zu und stieß Brynja zu Boden, um sie aus der Reichweite einer Klinge zu bringen, an deren anderem Ende ein Horden-Krieger hing. Mit einer eleganten Bewegung seines Kurzschwerts durchtrennte Calder ihm den Hals. Dann hob er die Prinzessin wieder vom Boden hoch. »Sterben können wir noch an einem anderen Tag.«
Sie stolperten einige Schritte durch die Dunkelheit, wichen immer wieder kämpfenden Schemen aus und traten dabei manches Mal über die toten Leiber der Gefährten. Nur mühsam gelang es Brynja schließlich, Sigfinn auszumachen. Calder tippte ihn an und zuckte sogleich zurück, damit der Prinz ihm nicht aus Versehen den Schädel einschlug.
»Fünfzig, vielleicht hundert Schritte zum Fluss«, flüsterte er. »Jetzt oder nie.«
Sie waren noch sechs oder sieben, die den Kampf verloren gaben und hastig flohen. Als sie den breiten Strom der Albia erreichten, waren sie nur noch zu fünft. Ein weiterer Rebell fiel mit einer Streitaxt im Rücken in das kaum hüfthohe Wasser.
Es gab
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