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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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mühsam gegen die zurückweichenden Wellen gestemmt. Alte Beine, dachte sie. Müde Beine … Ach, wie verliebt sie damals gewesen war!
    Damals hatte sie natürlich nicht begriffen, warum er auf Janeys Bemerkung so reagiert hatte. Sie hatte nicht begriffen, dass er nie beabsichtigt hatte, ihr einen Heiratsantrag zu machen, aber einfach nicht widerstehen konnte, als sich ihm vor Publikum die Gelegenheit dazu bot. Immer im Mittelpunkt, immer der Mann, der beweisen wollte, dass er unwiderstehlich war.
    Sie hatte nur gewusst, dass der Schauspieler Richard Banks der aufregendste Mann war, den sie je getroffen hatte. Er warb um sie. Und sie glich einer Frucht, die darauf wartete, gepflückt zu werden, war unschuldig wie ein Krokus im Frühling, mit dem verzweifelten Wunsch, dem Gefängnis zu entkommen, zu dem Hertfordshire geworden war. Vielleicht, so sagte sie sich damals, wird es für Mutter leichter werden, wenn ich gehe. Richard und Brighton lockten sie, versprachen ihr Freiheit. Wer hätte das zurückgewiesen? Die Tanzabende, das Theater, das aufregende Leben in einem Küstenort. Und ihr Herz war so voll, dass es zu bersten drohte …
    »Natürlich werde ich dich heiraten, Richard«, hatte sie geantwortet. »Ich liebe dich.«
    Aurelia wickelte sich in ihr Handtuch und ging über die ausgetretenen Steinstufen zurück zum Haus. Sie stieß das schmiedeeiserne Tor zu heftig auf, sodass eine malvenfarbene Blüte vor ihr auf den Pfad fiel. Es wurde zunehmend wärmer, und der Himmel hatte ein intensives Blau angenommen. Der Duft der Pinien und Mandelblüten mischte sich mit dem Geruch ihrer vom Salzwasser feuchten Haut. Sie seufzte. Liebe … Pah!
    Ein bisschen mehr Rot. Noch eine Spur Blau. Eine leichte Bewegung im Oleander. Eine Andeutung von …
    Aurelia runzelte die Stirn. Es wollte nicht gelingen. Die Dämmerung legte sich wie eine hauchzarte graue Stola über die Landschaft, und sie saß hier in der Mitte des Labyrinths neben ihrem südländischen Matrosen (Wer war er? Warum hatte sie das Gefühl, ihn so gut zu kennen?) und malte. Sie versuchte einzufangen, was – oder wer – um diese Tageszeit hier anwesend war. Sie mischte ein wenig Leinöl unter die Farbe. Wie viele beklemmende, dunkle Bilder würde sie noch vollenden, bevor sie es erfassen könnte? Und wie viele würde Alfonzo für seine Kunstgalerie haben wollen? Zwischen diesen Gemälden und den zarten Aquarellen, die sich so gut verkauften, lagen Welten.
    Aurelia war hier, um zu arbeiten, aber auch, um dem Haus zu entfliehen. Wieder einmal. Sie seufzte. Die Atmosphäre in La Sirena war heute angespannt gewesen. Als sie von ihrem morgendlichen Badeausflug zurückgekehrt war, hatte Enrico mit düsterer Miene an seinem Schreibtisch gesessen und etwas von »Buchführung« gemurmelt. Kein gutes Zeichen. Enrico beschäftigte sich nur mit seiner Buchführung, wenn er schlechter Laune war. Und diese Tätigkeit machte ihn noch griesgrämiger.
    Aurelia begriff es nicht, zumal er kaum noch Interesse am Geschäftlichen hatte und ihm ein Buchhalter zur Seite stand, der sich um diese Dinge kümmerte. Aber sie hatte bloß die Achseln gezuckt und für sie beide Kaffee gekocht. Sie hatte früh erkannt, dass die Italiener – Enrico eingeschlossen – sehr schnell lachten oder weinten und dass das italienische Temperament manchmal überschäumte. Am besten tat man diese Launen mit einem Schulterzucken ab und wartete. Meist waren sie rasch wieder verflogen.
    Sie genehmigte sich einen kleinen Brunch – eine Neuerung, die sie eingeführt hatte und die für Enrico immer noch so ungewohnt war, dass er sie im Allgemeinen ignorierte, denn seiner Ansicht nach sollte eine anständige Mahlzeit auch zu einem anständigen Zeitpunkt eingenommen werden. Pranzo vorzugsweise kurz nach zwölf Uhr mittags, wenn die Glocke der Dorfkirche den mezzo-giorno ankündigte. Manchmal fügte sich Aurelia, aber nicht heute. Es gab Spinat-Quiche mit Salat, von Rosa zubereitet, die Enrico vermutlich bedauerte, weil er mit solch einer Barbarin leben musste. Und schlimmer noch, mit einer Barbarin, die weder begriffen hatte, welch vielfältige Köstlichkeiten der Oberbegriff antipasti in sich vereinte, noch die unumstößliche Tatsache akzeptierte, dass antipasti – sowie alle weiteren Gänge – ganz gewiss nicht zusammen mit Salat gegessen wurden. Und dann auch noch auf demselben Teller … zum Brunch ?
    Nach dem Essen hatte sie noch ein wenig gemalt und mit Elena telefoniert – »Ich fürchte, ich habe

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