Das Erbe des Greifen
entgegenstellen? Ein paar Stadtwachen? Allein schon der Gedanke ist lächerlich!«
»Mir scheint, als habe der alte Mann auch Euch verärgert. Ich sagte Euch ja, dass er uneinsichtig und stur ist.«
»Er versteht einfach nicht, was es bedeutet, uns die Stirn zu bieten«, antwortete Lindor nachlässig. »Aber er wird es noch lernen. Und wenn nicht«, er zuckte die Achseln, »kann es uns auch einerlei sein. Meinethalben kann er dort oben in seiner Burg sitzen bleiben und auf seinen Tod warten, wir brauchen weder ihn noch seine Zustimmung.« Er blieb stehen und wandte sich dem Priester zu. »Sagt, Eminenz, wie viele Priester dienen Euch und Eurem Herrn hier in Berendall?«
»Etwas über ein Dutzend«, teilte ihm der Priester mit. »Warum?« Er betrachtete Lindor eingehend, als suche er in dessen harten Gesichtszügen einen Hinweis für sein überraschendes Verhalten. Doch Graf Lindor nahm unbewegt die Zügel seines Pferdes von einem Stallburschen entgegen und saß auf.
»Weil wir die Dinge unterschiedlich sehen«, sagte er schließlich. »Ihr braucht Opfer für Euren Gott, und ich brauche meine Leute, die daher nicht länger auf Eurem Altar landen sollten. Ich mache Euch einen Vorschlag.«
»Und der wäre?«
»Ich überlasse es Euren Priestern, den Mörder an einem der ihren zu finden. Dazu unterstelle ich jedem von ihnen vier meiner Männer, die sie schützen werden. Eure Priester werden ihnen gegenüber weisungsberechtigt sein. Wir werden dem alten Grafen seine Machtlosigkeit demonstrieren. Was mich betrifft, braucht Ihr Euch nicht mehr um die Einhaltung der Stadtgesetze zu kümmern. Tut, was nötig ist, um die Ketzer dingfest zu machen. Im Gegenzug verlange ich von Euch, dass die Opferungen meiner Leute ein Ende haben.« Der Graf machte eine weit ausladende Geste über Berendall hinweg. »Es gibt hier genügend Ketzer, da braucht Ihr meine Leute nicht. Demonstriert die Macht und Entschlossenheit Thyrmantors zusammen mit der Stärke Eures Glaubens.«
Der Priester sah Lindor argwöhnisch an.
»Was bezweckt Ihr damit, Graf?«
»Wie ich Euch bereits sagte. Ich habe etwas dagegen, dass meine Soldaten Euren Altären zugeführt werden. Sucht Euch Eure Opfer woanders.«
»Hhm. Und die Soldaten, die ihr meinen Priestern unterstellt, werden die Weisungen meiner Leute befolgen?«
»Bedingungslos.«
»Gut«, beschied ihn der Priester. »Dann soll unser Handel gelten!«
»Je mehr ich von diesem Grafen Lindor erfahre, desto weniger gefällt er mir!«, rief Lamar empört aus. »Das ist ja, als ob er diesem Priester einen Freibrief ausgestellt hätte! Wie konnte der Mann denn nur weiterhin im Einverständnis mit sich selbst leben?«
»Vielleicht hat er sich das auch gefragt«, meinte der alte Mann bedächtig. »Jedenfalls war er nicht gerade bester Stimmung, als er wieder im Regimentslager eintraf …«
»Heskel!«, rief Lindor, kaum dass er die Tür zur Kommandantur geöffnet hatte, und eilte im Sturmschritt in sein Schreibzimmer. Sein erster Weg führte ihn zur Anrichte, wo er sich großzügig einen klaren Korn einschenkte, den er mit einem Schluck hinunterkippte. Danach warf er das Glas mit einer Geste des Ekels in den Kamin, wo es klirrend zerbrach.
Leutnant Heskel stand bereits in der Tür, und wenn er das Verhalten des Grafen seltsam fand, zeigte er es jedenfalls nicht.
»Leutnant. Sucht mir die vierzig übelsten Kerle heraus, die wir haben. Solche, die dem Strang oder Kerker entronnen sind, um in der Armee zu dienen. Solche, die weder ein Gewissen noch Reue kennen. Lasst sie draußen antreten und teilt ihnen mit, dass sie ab sofort dem Hohepriester des Darkoth unterstellt sind!«
»Aber …«, begann der Leutnant, doch ein eisiger Blick des Grafen brachte ihn zum Schweigen.
»Für den Rest der Truppen verhänge ich Ausgangssperre. Niemand außer diesen vierzig Mann verlässt unser Lager. Jeglicher Kontakt zu den Bewohnern der Grafschaft wird ab sofort unter Strafe eingestellt. Von nun an werden allein diese vierzig und die Priester des Darkoth das Königreich repräsentieren!«
»Darf ich offen sprechen, Graf?«
»Wenn Ihr müsst, Heskel.«
»Das ist, als ob man eine Horde tollwütiger Hunde auf Schafe loslassen würde. Wenn sie erst einmal angefangen haben, werden die Diener Darkoths kein Ende mehr finden.«
»Ihr habt Recht«, antwortete Lindor, ließ sich schwer in seinen Stuhl fallen und stützte seinen Kopf für eine Weile in beide Hände. Dann riss er sich zusammen und nahm wieder Haltung
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