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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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entsprach, in der sich sein Hang zur Geselligkeit mit dem Hang zur Einsamkeit paarte, und daß Caleb Hesketh ein weit tiefgründigerer Mensch war, als der, den man von außen wahrnahm. Romy hätte gern gewußt, was ihn zu dem gemacht hatte, der er war, und sie fragte sich, was er an ihr fand – sie, die sie ihr Herz immer auf der Zunge trug.
    Am Sylvesterabend gingen sie auf ein Fest bei Freddie Bartlett. Romy trug ein Kleid aus bronzefarbener Seide, das sie bei Selfridges entdeckt hatte. Es war das teuerste Kleid, das sie sich je geleistet hatte; das Oberteil hatte Stäbchen, dank derer sie, wie sie bei einem Blick in den Spiegel mit Befriedigung feststellte, sogar ein bißchen Busen hatte. Caleb trug einen Smoking; gewöhnt, ihn in Kordhosen und Arbeitsjacke zu sehen, war sie verblüfft angesichts der Verwandlung. Auf der langen Fahrt hinaus aufs Land, saß sie in Decken eingemummt neben ihm in seinem Lieferwagen.
    Freddies Haus war groß und elegant. Der Garten war selbst an diesem eiskalten Winterabend, da die von Reif überzogen Bäume und Büsche wie feinstes Filigran wirkten, von bezaubernder Schönheit. Drinnen im Haus gab es mit Seide bezogene Sofas, Chaiselongues und zierliche Regency-Sessel mit geschnitzten Lehnen, blitzende tiefrote Gläser und Teppiche, deren raffinierte Muster das Auge anzogen und beschäftigten.
    »Als wohnte man bei Harrods«, flüsterte sie Caleb zu. »Beneidenswert, dieser Freddie.«
    »Möchtest du bei Harrods wohnen?«
    »Es ist mein Lieblingskaufhaus. Ich könnte stundenlang herumgehen und schauen. Es ist für mich nach dem Trelawney der schönste Ort in London.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Ich bin eine ziemlich oberflächliche Person, nicht wahr?«
    Seine Augen blitzten belustigt. »Ganz schrecklich oberflächlich, ja.«
    »Ich bin fest entschlossen, so reich zu werden, daß ich jeden Tag bei Harrods einkaufen kann. Findest du das abstoßend, Caleb?«
    »Sollte ich?« Er nahm zwei Gläser Champagner von einem Tablett und reichte ihr eins. »Es ist doch kein Wunder, daß du Wünsche hast. Ich meine – wir haben doch nichts gehabt, du so wenig wie ich. Erst die Depression und dann der Krieg und die Marken und danach die allgemeine Knappheit. Man kann wirklich nicht sagen, daß wir uns im Luxus gesuhlt haben.« Er hob sein Glas. »Auf den Luxus.«
    Später tanzten sie, und Romy wurde sich eines Gefühls wunschloser Zufriedenheit bewußt. Es war einer jener seltenen, unerwarteten Momente, da alles so zu sein schien, wie es sein sollte, und ihr nichts fehlte, sie sich nach nichts sehnte. Das schöne Haus, dachte sie. Die Musik, der Champagner.
    Als der Big Ben aus Freddies Radio Mitternacht schlug, sah Caleb sie fragend an, und sie sagte energisch: »Ich sehe nicht ein, warum Lückenbüßer sich zum neuen Jahr nicht küssen sollten.« Also küßten sie sich.
    An einem kalten Januarmorgen blickte Romy über die Straße, als sie aus dem Hotel trat, und erkannte Jem, der zusammengekauert auf einer Bank in der Grünanlage saß. Laut rief sie seinen Namen und lief über die Straße zu ihm.
    Sie umarmte ihn und hätte ihn am liebsten gar nicht mehr losgelassen, da sie fürchtete, er könnte wieder verschwinden, wenn sie sich in den Arm kniff. Immer überwältigte sie dieses berauschende Glücksgefühl, wenn Jem von seinen Wanderungen zurückkehrte. Als hätte sie einen Teil von sich selbst wiederentdeckt.
    »Jem, wo warst du?«
    »In Brighton«, antwortete er. »Ich hab in Brighton gearbeitet.«
    »In Brighton? Da hätte ich dich doch besuchen können. Ich habe dich so vermißt.«
    »Ein scheußliches Nest.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Du meinst, da tut dir jemand einen Gefallen, und dann merkst du, daß die nur jemanden brauchen, der nach ihrer Pfeife tanzt. Genau wie beim Militär.«
    Sie hakte sich bei ihm ein, als sie den Platz verließen. »Das ist bei den meisten Jobs so«, sagte sie tröstend. »Aber es wird besser, ehrlich, Jem. Wenn du erst mal eine Weile in derselben Stellung bist –«
    »So ein Job war das nicht.« In seinen dunklen Augen lag ein Anflug von Spott. »Das war nicht so eine Stellung, wie du sie hast, Romy, wo man morgens anfängt und abends aufhört und am Ende der Woche sein Geld bekommt. Solche Stellungen geben sie Leuten wie mir nicht.«
    »Was war es denn für eine Arbeit, Jem? Was hast du denn getan?«
    »Ach«, sagte er vage. »Kurierdienst. Ich mußte ziemlich viel rumfahren.«
    Sie gingen in ein Café. Sie setzte sich an einen Tisch, während

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