Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
ausgekostet, die ihr niemand mehr zu nehmen vermochte. So wie die Bremse an einem Wagen, die den Pferden signalisierte, dass sie langsamer laufen sollten, wenn sie betätigt wurde, so hatte sie auch die Vorfreude auf das Essen ausgebremst und diese durch eine sachlich-rationale Erwartung ersetzt. Whenda sah dies ein. Noch wusste sie jedoch nicht zu sagen, was besser für sie war.
Auch in der Bestimmtheit, die Turgos immer für die kleinen Freuden des Lebens einforderte, wollte sie noch nicht das Maß aller Dinge erkennen. Denn sein positives Denken, wie er es nannte, hatte auch seine Tücken. Aber in den kleinen Dingen des Lebens schien seine Haltung die bessere zu sein. Sie erleichterte vieles und machte das Leben lebenswert. Ihr Volk gab jedoch allen Dingen, die es tat, und mochten sie noch so unerheblich erscheinen, eine Tiefe, in der kein Platz mehr für Gefühle war. Der einzige Sinn dieser Tiefe war nur jener, sie in ihrer Ganzheit zu erkennen und zu bewerten. Die Handwerker der Anyanar waren hierzu das beste Beispiel. Niemals würde ein Schmied ein Rad verkaufen, das nicht allen Ansprüchen genügte, die er daran stellte. Ein Mensch hingegen konnte in manchen Fällen eine Unwucht des Rades verzeihen, weshalb nicht ganz rund lief, und trotzdem einen Käufer dafür suchen. Dieser wiederum wäre dann zwar nicht mehr bereit, denselben Preis dafür zu bezahlen wie für ein makelloses Rad, doch bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass er es etwas günstiger trotzdem kaufen konnte. Er mochte es vielleicht einem anderen Zwecke zuführen, als ihm zugedacht war. Vielleicht freute er sich sogar darüber und baute sich einen Leuchter oder sonst etwas daraus, hatte Turgos gemeint, als er ihr dieses Beispiel erläuterte. Whenda konnte noch nicht genau sagen, wessen Art besser war. Aber die Ansicht von Turgos verstand sie genau. Ihre Antwort, die sie vor einigen Tagen dazu hatte, war auch nicht so schlüssig für einen der Sterblichen, wie sie fand. Denn sie hatte sofort das Beispiel angeführt, dass, wenn ein Rüstungsmacher so denken würde, dessen Kunden für sein Versagen mit dem Leben bezahlen mussten. Sollte eine Rüstung fehlerhaft sein und ein Pfeil durchdrang sie an einer Stelle, wo dies eigentlich nicht der Fall sein durfte, dann waren all seine Gedanken für immer beendet. Turgos lachte jedoch und sagte ihr, dass einer seiner alten Lehrer dieselben Ansichten hatte wie sie. Er nannte es ein Totschlagargument. Auch der Lehrer hatte solche Gespräche immer auf diese Art beendet.
Auf ihre Nachfrage hin erläuterte ihr Turgos dies näher: Ein Totschlagargument verbiete es, weiter über das Für und Wider mancher Dinge oder Gedanken nachzusinnen, weil es die Unterhaltung zerstöre oder töte. Oft habe er jedoch erkennen müssen, dass diese Art von Argument nur den Willen des Betrachters als allgemeingültig feststellen solle. Die meisten dieser Argumente waren durchaus stichhaltig – aber nicht alle. Beispielsweise war klar, dass ein Kind nicht auf einem Brunnenrand spielen durfte. Wenn der Brunnen nicht tief war, und sogar, wie es in Schwarzenberg oft vorkam, über ein Tonrohr mit Wasser gespeist wurde, dann verlor dieses Argument nicht seine Bedeutung. Aber jeder musste erkennen, dass es nicht für alle Brunnen galt. Wenn man jedoch nun alles über einen Kamm scherte, dann blieb oft vieles unberücksichtigt und man konnte leicht die wesentlichen Dinge des Lebens übersehen, obwohl man sie doch direkt vor Augen hatte.
In diesem Moment kam der Wirt und brachte den Eintopf. Schon der Geruch ließ Whenda wissen, dass Turgos recht getan hatte mit seiner Vorfreude auf das Mahl. Denn etwas, das so gut roch, konnte niemals schlecht schmecken. Breit war sein Grinsen, als er Whenda nun ansah und den Löffel in die Hand nahm. Die Höflichkeit gebot es ihm jedoch zu warten, bis auch die Anyanar, da sie eine Frau war, zu Essen begann. Whenda war dann sogar noch mehr überrascht von dem einfach vortrefflichen Geschmack des Eintopfs. Während sie zu essen begannen, füllte sich auch die Schankstube immer mehr. Anscheinend waren die Kochkünste des Wirtes gut bekannt in Hochstadt. Eine kräftige junge Frau half dem Mann nun, die Gäste zu bewirten.
Die Geräusche und Stimmen um sie herum wurden immer lauter. Niemand achtete auf jene zwei Wanderer, die dort speisten wie viele andere auch. Whenda hatte noch den Vorteil, dass direkt neben ihr ein Stützpfeiler aus Holz hinauf zur Decke ging. So konnte sich niemand zu ihrer
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