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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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warum sie sich das noch einmal antue, und Margaret erzählte wenig.
    Nachdem sie aufgelegt hatte, dachte sie darüber nach, was sie alles vielleicht würde begraben, für immer wegpacken müssen. Ihr war klar, dass es möglicherweise unklug oder sogar ungesund war, aber sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie anders mit ihrem Leben zurechtkommen sollte.
    Margaret dachte an Rafiq. Einmal gelang es ihr, sich für ein paar Stunden einzureden, dass das mit Rafiq nichts als eine flüchtige Verliebtheit gewesen sei. So etwas kam bei Verheirateten wahrscheinlich ständig vor: Sie verliebten sich in irgendjemanden, und wenn die Vernarrtheit vorbei war, machten sie weiter wie zuvor. Man brauchte nicht unbedingt Konsequenzen zu ziehen.
    Aber sie wusste, dass sie sich selbst belog. Sie würde Rafiq niemals vergessen. Es gab nur einen möglichen Kompromiss, entschied Margaret: Sie führte zwei Parallelleben, eines, das unerbittlich fortschritt, das andere war der Erinnerung vorbehalten. Sie sann darüber nach, ob das überhaupt möglich sein konnte und was es für ihre Ehe bedeuten würde.
    Wenn sie an Rafiq dachte, fragte sie sich, wo er jetzt lebte. Sie stellte sich vor, dass er nach seiner Ankunft in London ein Taxi in eines der pakistanischen Viertel genommen hatte, vielleicht zur Brick Lane oder nach Bethnal Green. Wahrscheinlich war er erst einmal bei seinen Verwandten untergekommen. Während die Frauen sich in Zimmern zusammentaten, um zu reden und die Kinder zu versorgen, saßen die Männer, fanatische Cricket-Fans, vor dem Fernseher. Manchmal sah Margaret Rafiq so deutlich vor sich, dass es ihr wehtat, aber sie konnte sich ihn nicht an einem bestimmten Ort oder bei einer bestimmten Tätigkeit vorstellen. Lebte er wohl tatsächlich bei Verwandten? Oder war er von London aus nach Islamabad weitergereist? Hätte sie sich in einem Leben mit ihm wohlgefühlt? Wenn sie mit Rafiq zusammen gewesen wäre, als er deportiert wurde, wäre sie mit ihm gegangen. Das wusste sie mit Sicherheit.
    Die Entdeckung, dass sie in besserer körperlicher Verfassung war als bei der letzten Wanderung in den Ngong Bergen, beschwingte Margaret. Sie erinnerte sich an den entsetzlichen, verzweifelten Durst, den Kampf um jeden Atemzug. Damit war es jetzt vorbei. An die roten Ameisen dachte sie nur lange genug, um Kevin und Everdene vor ihnen zu warnen.
    Auf dem ersten Ausflug ließen sich die vier auf dem ersten höheren Buckel nieder und schrieben Listen. Auf dem zweiten schafften sie es mühelos bis zu Denys Finch Hattons Grabstätte mit dem Obelisken und einigen Zeilen aus der »Ballade vom alten Seemann«. Auf ihrem dritten Ausflug wanderten sie in Rekordzeit zum Ende der Berge und wieder zurück zum Auto. Kevin und Everdene waren in hervorragender Kondition und hielten sich weit besser als Margaret vor einem Jahr. Everdene hatte kräftige Beine und war immer mit einem Wanderstock unterwegs, eine Gewohnheit, die Margaret bald übernahm. Kevins kompakter Körper schien wie dazu geschaffen, ihn einen Berg hinaufzukatapultieren. Er war bei Weitem der Schnellste von ihnen. Patrick und Margaret bremsten ihn immer wieder, mit gutem Grund, wie sie ihm erklärten. Sie erzählten den Freunden die Horrorgeschichten über Höhenlungenödeme und Höhenhirnödeme und schilderten ihnen die Leiden der akuten Höhenkrankheit.
    Everdene vor allem wollte mehr über den Gletscher wissen, aber Margaret war es nicht möglich, ihre Fragen zu beantworten. Patrick sprang ein und beschrieb das Seil, die aus dem Eis geschlagenen Trittstufen, das vorsichtige Tempo des Führers. Zu viert, sagte Patrick, würde es leichter sein als zu sechst. Weder er noch Margaret erwähnten Diana oder auch nur die Namen der Menschen, mit denen sie den Berg das erste Mal bestiegen hatten. Sie gaben zu, dass sie den Gipfel nicht erreicht hatten und deshalb die Tour, die auf jeden Fall eine Herausforderung war, wiederholen wollten.
    Zu Hause bei Everdene und Kevin erzählte ihnen Margaret von den Kikuyu und dem Berg Kirinyaga.
    Manchmal glaubte Margaret in einem Echo zu leben.
    »Haben Sie unter irgendwelchen dieser scheußlichen Beschwerden zu leiden gehabt, von denen Sie uns erzählt haben?«, fragte Everdene beim Abendessen nach ihrer dritten Wanderung in den Ngong Bergen.
    Patrick und Margaret sahen einander an. Margaret sagte, sie habe nach der Gletscherquerung einen Anflug von Höhenkrankheit gehabt, deshalb hätten sie gar nicht mehr versucht, den Gipfel zu erreichen. Ihr war flau bei

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