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Das Eulenhaus

Das Eulenhaus

Titel: Das Eulenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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gegessen. So Intellektuelle brauchen offenbar immer viel, viel Nahrung. Ach, wo ist David übrigens?«
    »Er ist in sein Zimmer hochgegangen«, erklärte Midge, »nachdem er gehört hat, was passiert ist.«
    »Ah ja – na, das war doch sehr taktvoll. Ich muss schon sagen, es hat ihn alles peinlich berührt. Man kann ja sagen, was man will, aber so ein Mord ist natürlich eine peinliche Sache – macht das Personal fertig und bringt alle Abläufe durcheinander. Eigentlich sollte es Enten geben – na, die kann man glücklicherweise auch gut kalt essen. Aber was soll man denn mit Gerda machen, was meint ihr? Ein Tablett hochbringen? Ein kräftiges Süppchen vielleicht?«
    Lucy, dachte Midge, ist wirklich ein Unmensch! Aber dann bekam sie Gewissensbisse, weil ihr klar wurde, dass Lucy womöglich allzu menschlich war und deshalb so schockierend wirkte! War es nicht, jenseits der Schönfärberei, einfach so, dass Katastrophen immer von lauter trivialen Problemchen und Verdächten umstellt waren? Lucy brachte einfach Gedanken zum Ausdruck, von denen die meisten Leute nichts wissen wollten. Aber man dachte doch einfach an das Personal und machte sich Sorgen um das Essen. Man hatte sogar Hunger. Sie hatte doch selbst Hunger, genau jetzt! Hunger und gleichzeitig ein Gefühl von Übelkeit. Eine merkwürdige Mischung.
    Und es war auch zweifellos schlicht und einfach peinlich, nicht zu wissen, wie man sich gegenüber einer ganz gewöhnlichen, stillen Frau benahm, die gestern noch »die arme Gerda« gewesen war und vermutlich in Kürze wegen Mordes auf der Anklagebank sitzen würde.
    So etwas passiert anderen Leuten, dachte Midge, aber doch nie und nimmer uns.
    Sie sah Edward an, der in der anderen Ecke saß. Leuten wie Edward, überlegte sie, darf so etwas gar nicht passieren. Leuten, die dermaßen gewaltlos sind. Edward anzusehen war so tröstlich. Edward war so leise, so vernünftig, so ruhig und freundlich.
    Gudgeon erschien, beugte sich vertraulich zu Lady Angkatell hinunter und sagte im angemessenen Flüsterton: »Ich habe Sandwiches und Kaffee im Esszimmer angerichtet. Mylady.«
    »Ach, danke, Gudgeon!«
    Als er wieder weg war, sagte sie: »Also, wirklich, Gudgeon ist wunderbar. Ich wüsste gar nicht, was ich ohne ihn täte. Gudgeon weiß immer, was richtig ist. Ein paar ordentlich belegte Sandwiches sind doch genauso gut wie ein Mittagessen – und an denen ist auch nichts Herzloses, wenn ihr mich fragt!«
    »Lucy – bitte!« Midge schossen plötzlich heiße Tränen über die Wangen.
    Lady Angkatell sah sie überrascht an. »Du armer Schatz. Das war alles ein bisschen viel für dich.«
    Edward kam herüber, setzte sich zu Midge aufs Sofa und legte einen Arm um sie. »Mach dir doch keine Sorgen, kleine Midge«, beschwichtigte er.
    Midge vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter und schluchzte. Das tat gut. Edward war auch so nett zu ihr gewesen, fiel ihr ein, als ihr Kaninchen gestorben war, damals bei einem Osterferienbesuch in »Ainswick«.
    »Es war wirklich ein Schock«, sagte er sanft. »Wo finde ich denn einen Brandy für sie, Lucy?«
    »Auf der Anrichte im Esszimmer. Ich glaube nicht – «, sie hielt inne, weil Henrietta in den Salon kam.
    Midge setzte sich wieder aufrecht und spürte, wie Edward sich versteifte und reglos dasaß.
    Was Henrietta wohl fühlt?, fragte sie sich. Sie empfand beinah Widerwillen, ihre Kusine anzusehen – aber da war auch nichts zu sehen. Henrietta sah einfach irgendwie kampflustig aus. Sie kam fast hereingestürmt, mit hochgerecktem Kinn und rotem Kopf.
    »Da bist du ja, Henrietta«, rief Lady Angkatell. »Ich hatte mir schon Gedanken gemacht. Die Polizei ist bei Henry und Monsieur Poirot. Was hast du Gerda gegeben? Brandy? Oder Tee und Aspirin?«
    »Ein Schlückchen Brandy und – eine Wärmflasche.«
    »Sehr richtig«, lobte Lady Angkatell. »Das sagen sie auch immer beim Erste-Hilfe-Kurs – das mit der Wärmflasche, meine ich, wegen des Schocks. Brandy nicht, man rät ja heute eher ab von Stimulanzien. Also, ich halte das für eine Modeerscheinung. In ›Ainswick‹, als ich noch klein war, haben wir bei Schock immer Brandy verabreicht. Obwohl das vermutlich nicht wirklich ein Schock ist, was Gerda hat. Ich weiß ja nicht, was genau man fühlt, wenn man gerade seinen Mann umgebracht hat – aber einen Schock kriegt man davon doch eher nicht. Ich meine, das ganze Überraschungsmoment fehlt ja.«
    Henriettas Stimme schnitt eiskalt durch die harmlose Stimmung. »Wieso seid ihr

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