Das Fest
hier fast alles tun, was man will.«
»Sie fahren aber erst am ersten Weihnachtstag«, sagte Spike.
»Was?«
»Um zwölf Uhr mittags herum, habe ich gehört. Also lohnt es sich doch, Frosty aufzubauen. Dann gewinnen wir vielleicht wieder den Preis.«
Luther zögerte eine Sekunde lang und wunderte sich einmal mehr über die Geschwindigkeit, mit der Privatangelegenheiten in der gesamten Nachbarschaft verbreitet wurden.
»Dem Gewinnen wird in unserer Gesellschaft viel zu große Bedeutung beigemessen, Spike«, sagte er weise. »Soll dieses Jahr ruhig mal eine andere Straße die Auszeichnung bekommen.«
»Vielleicht haben Sie Recht.«
»Und jetzt ab mit dir.«
Spike radelte davon und rief über die Schulter hinweg: »Bis dann!«
Luther schlenderte weiter. Frohmeyer senior lag allerdings schon auf der Lauer. Er lehnte auf dem Briefkasten am Ende seiner Auffahrt und sagte: »'n Abend, Luther«, als würden sie sich rein zufällig begegnen.
»'n Abend, Vic«, erwiderte Luther und wäre beinahe stehen geblieben. In allerletzter Sekunde beschloss er jedoch, einfach weiterzubummeln. Frohmeyer trottete hinter ihm her.
»Wie geht es Blair?«
»Sehr gut, danke der Nachfrage. Was machen deine Kinder?«
»Die sind in Hochstimmung. Das ist ja auch die schönste Zeit des Jahres, findest du nicht?« Frohmeyer hatte einen Schritt zugelegt, so dass die beiden nun Seite an Seite gingen.
»Auf jeden Fall. Allerdings vermisse ich Blair. Ohne sie wird es nicht dasselbe sein.«
»Natürlich nicht.«
Sie machten vor dem Haus der Beckers Halt und beobachteten, wie der arme Ned schwankend auf der obersten Sprosse der Leiter stand und vergeblich versuchte, einen überdimensionalen Stern an der Spitze des Baums zu befestigen. Seine Frau versorgte ihn offenbar mit hilfreichen Anweisungen, kam aber nicht auf den Gedanken, die Leiter festzuhalten. Seine Schwiegermutter war ein paar Schritte zurückgetreten, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Es schien, als würde jeden Moment ein Faustkampf ausbrechen.
»Es gibt allerdings einige Dinge an Weihnachten, die ich bestimmt nicht vermissen werde«, bemerkte Luther.
»Du lässt es also wirklich ausfallen?«
»Du hast es erfasst, Vic. Ich wäre dankbar, wenn du dafür Verständnis hättest.«
»Nun, ich habe das Gefühl, dass das einfach nicht richtig ist.«
»Es ist aber nicht deine Entscheidung, oder?«
»Nein, das stimmt.«
»Gute Nacht, Vic.« Luther ließ Frohmeyer stehen und ging die paar Schritte zu seinem Haus zurück. Er musste immer noch über die Beckers lächeln.
6
D ie Diskussionsrunde am späten Vormittag im Frauenhaus nahm kein gutes Ende für Nora, denn Claudia, mit der sie bestenfalls locker befreundet war, platzte plötzlich heraus: »Dieses Jahr gibt es also keine Party an Heiligabend, Nora?«
Von den außer Nora anwesenden sieben Frauen waren in der Vergangenheit exakt vier zu ihren Weihnachtspartys eingeladen worden. Die anderen drei hätten sich im Moment am liebsten im nächstbesten Loch verkrochen — genau wie Nora.
Du ungehobelte kleine Schlampe, dachte Nora. Laut erwiderte sie jedoch schnell: »Nein, tut mir Leid. Wir setzen mal ein Jahr aus.« Sie hätte gern noch hinzugefügt: »Und falls wir jemals wieder eine Party geben, würde ich an deiner Stelle nicht auf eine Einladung warten, liebste Claudia.«
Jayne, eine der drei Ausgeschlossenen, versuchte das Thema zu wechseln. »Ich habe gehört, dass ihr eine Kreuzfahrt machen wollt.«
»Das stimmt, wir reisen am ersten Weihnachtstag ab.«
»Bei euch fällt also das gesamte Weihnachtsfest flach?«, fragte Beth, eine flüchtige Bekannte, die nur deshalb jedes Jahr eingeladen wurde, weil die Firma ihres Mannes Geschäftsbeziehungen zu Wiley & Beck pflegte.
»Ja, von A bis Z«, entgegnete Nora aggressiv, während sich ihr Magen zusammenzog.
»Eine ausgezeichnete Methode, um Geld zu sparen«, warf Lila ein, das größte Miststück der Truppe. Dabei betonte sie das Wort »Geld«, als sei es um die Finanzen im Hause Krank schlecht bestellt. Noras Wangen röteten sich. Lilas Mann war Kinderarzt. Luther hatte aus sicherer Quelle erfahren, dass die beiden hoch verschuldet waren — ein großes Haus, teure Autos, Mitgliedschaften in Country Clubs. Sie verdienten viel und gaben noch mehr aus.
Apropos Luther — wo war er eigentlich während dieser fürchtbaren Minuten? Warum bekam nur sie die Auswirkungen seines dämlichen Plans mit voller Wucht zu spüren? Wieso stand sie an vorderster Front,
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