Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
so tat, als wäre er höchstpersönlich auf diese mögliche Verbindung zweier Todesfälle gestoßen. Er drückte seinem Chef seinen halbvollen Becher in die Hand. »Ich muss mal pinkeln.«
Er stapfte davon. Das, schwor er sich, sollte das letzte Bier gewesen sein, das er sich von seinem Boss hatte aufdrängen lassen.
34
Der Anblick fröhlicher Menschen überall um sie herum bescherte Katja einen unerwarteten Anflug von Einsamkeit. Es lag nicht so sehr daran, dass Bernd sich von ihr abgesetzt hatte, weil er ganz versessen darauf war, die interessante Lichtstimmungin möglichst vielen Aufnahmen einzufangen. Es war das beinahe greifbare Gefühl, sich als Außenseiterin innerhalb einer geschlossenen Gruppe zu bewegen. Hier lachten ein paar Frauen plötzlich über einen Witz oder eine komische Bemerkung auf, dort sprachen zwei Männer laut »über die Sache an der Schleuse«, wozu ein dritter wissend nickte. Vor einer kleinen Bühne tanzten die Leute zu einer Art modernem Gassenhauer, den Katja noch nie gehört hatte. Mit jedem Schritt, den sie machte, und mit jedem Gesprächsfetzen, den sie aufschnappte, spürte sie, dass sie nicht hierhergehörte.
Noch schlimmer waren ihre wachsenden Zweifel daran, wie sinnvoll der von ihr geplante Artikel überhaupt war. Alle Güstriner, die sie hier sah, feierten, als wäre nichts geschehen. Als wäre nicht in irgendeinem Besprechungszimmer im Kanzleramt in Berlin eine schwerwiegende Entscheidung gefallen, die das Aus für einen der größten Arbeitgeber dieser Kleinstadt bedeutete. Als gäbe es den tiefen Graben zwischen denen, die jahrzehntelang gegen das Atomkraftwerk gekämpft hatten, und jenen, die zu seinen überzeugten Befürwortern geworden waren, gar nicht. Der Riss in den Fundamenten der Gemeinschaft dieser Menschen schien durch einen Brauch gekittet, über dessen wahres Alter man nur Mutmaßungen anstellen konnte. Thilo hatte ihr erzählt, es gäbe keine gesicherten Belege dafür, dass solche Feuer schon vor der Ausbreitung des Christentums in Europa entzündet worden wären. Sie wären lediglich eine symbolische Verkörperung Jesu Christi, der als Licht der Welt der Dunkelheit Einhalt gebot. Wie viele andere Religionswissenschaftler teilte Thilo diese Einschätzung jedoch nicht. Er sah im Osterfeuer die Fortführung einer Sitte aus grauer Vorzeit, die dazu diente, böse Geister zu vertreiben und die Felder fruchtbar zu halten, weshalb ja auch die Asche des Feuers in manchen Regionen bis heute noch auf den Äckern verstreut wurde.
Es war nicht das einzige Thema gewesen, zu dem er ihr Aufschlussreiches hatte verraten können. Er hatte auch die Zweifel in ihr geweckt, die sie nun zunehmend quälten. »Die Leute gehen nicht ständig aufeinander los«, hatte er gesagt. »So darf man sich das auf keinen Fall vorstellen. Natürlich weiß fast jeder, wo der jeweils andere steht. Aber für neun von zehn Leuten heißt das nicht, dass man sich nicht mehr grüßen würde, wenn man sich auf der Straße begegnet. Oder beim Bäcker in der Schlange nicht über das Wetter reden könnte. Es sollte dich auch nicht weiter überraschen, dass der Ton sehr viel schärfer ist, sobald die Angehörigen des einen oder des anderen Lagers unter sich sind. Dann wird schon ordentlich vom Leder gezogen, und mit der freundlichen Zurückhaltung ist es vorbei. Doch die Spannungen entladen sich normalerweise nur zu ganz bestimmten Gelegenheiten. Bei Bürgersprechstunden oder öffentlichen Diskussionsrunden. Es ist im Grunde wie eine Art Ritual, wie ein Turnier, bei dem die Kämpfe nur unter Einhaltung fester Regeln ausgetragen werden.«
Katja umrundete das lodernde Feuer ein weiteres Mal. Aus seiner Spitze ragte ein Birkenstamm, der dem Wüten des Feuers tapfer standhielt. Nur vom Weiß seiner Borke war nichts mehr zu sehen, und auch die Strohpuppe, die an ihm gebaumelt hatte, war schon längst in Rauch aufgegangen. Das Spiel der Flammen übte große Faszination aus. Sie musste den Blick immer wieder aufs Neue von ihm losreißen, wenn sie die Menschen um sich herum wahrnehmen wollte. Irgendwann begriff sie auch, warum sie nicht einfach stehen blieb, um sich völlig vom Feuer in seinen Bann ziehen zu lassen: Sie suchte nach jemandem. Mehr unbewusst als absichtlich. Doch leider erspähte sie ihn nirgends.
Sie fragte sich, was genau an Thilo sie dazu brachte, seine Anwesenheit herbeizusehnen. Er sah gut aus, aber das taten viele Männer, denen sie begegnete. Er war nicht dumm, doch auch damit war er in
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