Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
ihrem Bekanntenkreis beileibe nicht allein.Vielleicht war es der Klang seiner Stimme. Das musste es sein. So hoffte sie es zumindest. Das war besser als das andere Erklärungsmodell, das ihr einfiel: Sie hatte gerade eben erst einen lieben Menschen verloren, und die Art und Weise, wie rührend Thilo am Gedenken an seine tote Schwester festhielt, hatte in ihrem Herzen, aus dem sie die Trauer über ihren Verlust nicht so leicht verbannen konnte wie aus ihrem Kopf, ein Gefühl der Verbundenheit mit ihm erzeugt.
Allerdings hatte es keinen Zweck, ernsthaft zu verleugnen, dass ihr Kennenlernen unter sehr besonderen Vorzeichen stattgefunden hatte. Es war nicht wie bei Enzo gewesen, den ihr Malte, ein Freund aus Studienzeiten, bei der Einweihungsfeier seiner neuen Wohnung vorgestellt hatte. Das war eher das wechselseitige Durchgehen einer Checkliste gewesen. Fand man sich attraktiv? Check. Gab sich der andere genügend Mühe, deutliches Interesse zu zeigen? Check. War da genügend Verständnis dafür da, dass man nicht bereit war, für eine sich möglicherweise anbahnende lose Beziehung alles hintanzustellen, was man sich in seinem Beruf bisher erarbeitet hatte? Check. Alles klar, der Flug kann starten. Eine sehr technische Angelegenheit.
Im Vergleich dazu hatte sie bei Thilo das Gefühl, ihn schon seit einer halben Ewigkeit und nicht erst ein paar Stunden zu kennen. Wie bei einem alten Klassenkameraden, dem man völlig unvorhergesehen nach Jahren wieder über den Weg lief und bei dem man sofort feststellte, dass man immer noch genauso tickte wie früher. Oder einem Menschen, den man das erste Mal traf und sich umgehend wünschte, von jetzt an so viel Zeit wie nur irgend möglich mit ihm zu verbringen. Aber das war natürlich völliger Blödsinn. Sie glaubte nicht an Liebe auf den ersten Blick. So was gab es nur in Filmen oder Büchern. Beispielsweise in ›Jane Eyre‹, wo sich herausgestellt hatte, dass es trotz aller Misslichkeiten für die Heldin doch noch ein Happy End gab. Das war selbstverständlich keine Messlatte für das echte Leben. Nur daswirklich Verführerische am Melodram: Das Böse brach mit aller Härte über die armen Figuren herein, doch am Ende siegten dann immer die Guten, die Tugendhaften. Das war Quatsch. Naivste Romantik.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wandte dem Feuer den Rücken zu. Genug geträumt. Es war Zeit, sich bei der Wirklichkeit zu melden. Bei Enzo. Während sie ihr Smartphone aus der Hosentasche kramte, schaute sie hinüber zu einigen mit blauen Lichterketten behängten Pavillonzelten, in denen Stehtische aufgestellt waren und die fast ein bisschen zu vornehm für diese Veranstaltung wirkten. In einem von ihnen herrschte dichtes Gedränge vor einer Bar, an der Hochprozentiges ausgeschenkt wurde. Zwei Männer hatten offenbar beschlossen, sich ein wiederholtes Anstehen zu ersparen: Auf ihrem Tisch stand gleich eine Flasche Korn.
Katja kniff die Augen zusammen. Sie kannte die beiden. Von ihrem Besuch im Kraftwerk. Der eine mit der dicken Nase hieß Jäger oder Ritter oder so. Der andere war der schweigsame Glatzkopf, der kaum etwas zum Gespräch in der Kantine beigetragen hatte, das so jäh vom Erscheinen dieses Kripobullen unterbrochen worden war. Noch während Katja abwog, ob es sich nach ihrem Gespräch mit Enzo lohnen würde, zu ihnen hinüberzugehen, hatte sie der mit der dicken Nase schon gesichtet. Er grinste und winkte. »Na, gefällt es Ihnen bei uns?«
Damit war Katja ihre Entscheidung abgenommen. Sie steckte ihr Smartphone weg. »Interessant ist es auf alle Fälle.« Als sie bemerkte, wohin seine Blicke ungeniert wanderten, zog sie den Reißverschluss ihrer Kapuzenjacke zu und erinnerte sich wieder an seinen Namen. Ritter. Auch wenn er ein wenig ritterliches Verhalten an den Tag legte und Jäger angesichts seiner unübersehbaren Neigung, Frauen wie Freiwild zu behandeln, treffender gewesen wäre. »Tut mir leid, dass wir uns beim letzten Mal nicht richtig voneinander verabschieden konnten.«
»Ach was. Dafür können Sie doch nichts«, sagte er gönnerhaft. »Erst die Polizei und dann das Feuer. Höhere Gewalt, will ich meinen.« Er musterte sie noch einmal von oben bis unten. »Ist Ihnen kalt?«
»Ich bin ein empfindliches Pflänzchen.«
»Ha.« Er lachte übertrieben und packte die Flasche Korn. »Hier. Trinken Sie einen mit uns. Das wärmt von innen.« Er wandte sich an den Glatzkopf. »Hol doch noch so einen von diesen Fingerhüten, Burmester.«
Burmester
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