Das Feuer der Wüste
sich Charly ins Gespräch, den sie ganz vergessen hatten.
Während Margaret den Jungen lobte und ihn hinunter ins Dorf schickte, betrachtete Ruth ihr Gesicht. In den hellen Augen ihrer Großmutter schien sich der Himmel über der Namib zu spiegeln. Das Gesicht war von winzigen Fältchen überzogen wie kostbares Elefantenpapier, geädert wie der wertvolle Marmor, den sich die reichen Farmer aus Carrara in Italien schicken ließen. Margaret Saldens Mund unterschied sich grundlegend von allen weißen Mündern, die Ruth kannte. Diesen Mund hatte auch das Alter nicht nach unten gebogen; er hatte sich nicht in sich selbst zurückgezogen, war nicht mehr nur noch als Strich zu sehen. Margaret Saldens Mund war der Mund einer jungen Frau, die sich auf die Zukunft freute – voll und prall, bereit, jederzeit ein Lächeln zu zeigen.
Ruth war so berührt, dass es ihr die Sprache verschlug. Dieser Mund berichtete mehr über ihre Großmutter und ihr Leben, als alle Erzählungen es vermocht hätten. Dieser Mund sprach von einem Leben, das sich gelohnt hatte.
»Du bist so schön!«, stieß Ruth hervor.
Margaret lächelte, strich Ruth sanft über die Wange. »Das bist du auch, mein Kind.« Sie betrachtete Ruth aufmerksam.
»Du suchst Rose in mir, nicht wahr?«, fragte Ruth.
Margaret nickte.
»Du wirst sie nicht finden. Ich sehe aus wie mein Vater, ein irischer Bär. Rose ist anders. Sie ist schmal und feingliedrig, sie hat deine Augen, aber dichtes, leicht gewelltes dunkles Haar, das bis heute keine einzige weiße Strähne zeigt.«
»Dann sieht sie aus wie Wolf. Und wie ist sie?«
Ruth seufzte. »Ich weiß es nicht genau. Wer kennt schon die eigene Mutter? Sie sucht etwas, sagte Mama Elo. Sie hat immer nach etwas gesucht, aber niemand weiß, was es ist. Seit ich dich gesehen habe, denke ich, dass du es bist, die sie sucht und immer gesucht hat.«
»Vielleicht ist das tatsächlich so«, erwiderte Margaret, und um ihren schönen Mund zeigte sich ein schmerzlicher Zug. Als die Frauen in der Werft zu singen und in die Hände zu klatschen begannen, lächelte sie jedoch wieder.
Schon tauchten Männer zwischen den Pontoks auf, hockten sich in der Nähe des Feuers auf den Boden und sahen freundlich zu ihnen herüber.
»Komm mit, das Fest beginnt gleich«, sagte die Großmutter und zog Ruth zu einem Platz inmitten der anderen.
Und obwohl Ruth all das fremd war, fühlte sie sich wohl, mitten in der Namibwüste, in einem Eingeborenendorf, an der Hand ihrer Großmutter.
Auf einmal wusste sie, dass sie jetzt nichts mehr fürchten musste, dass jetzt alles gut werden würde.
Fünfzehntes Kapitel
E s dauerte lange, bis alle Töpfe leergegessen und der schwere Bratspieß von der Feuerstelle genommen war. Die Männer und Frauen hatten Ruth auf ihre Art begrüßt, hatten Lieder gesungen, auf Trommeln geschlagen, sogar getanzt, doch keiner von ihnen hatte auch nur ein einziges Wort mit ihr gesprochen. Nur die Kinder waren neugierig zu Ruth gekommen, hatten an ihren langen roten Haaren gezupft, sie mit zur Seite geneigten Köpfchen angelächelt und in einer merkwürdigen Sprache zu ihr gesprochen. Und obwohl Ruth kein Wort verstand, hatte sie zurückgelächelt. Immer wieder hatte sie Margaret angesehen, als müsse sie sich davon überzeugen, dass die Frau von der Sanddüne wahrhaftig ihre Großmutter war und nicht ein Geist, den der Sehnsuchtsstein ihr vorgegaukelt hatte. Manchmal hatte sie nach Margarets Hand gegriffen, sie kurz gedrückt und sanft gestreichelt. So fremd und seltsam dieses Fest in den Dünen der Namib auch war, Ruth fühlte sich in ihrer Gegenwart so geborgen wie schon seit Kindertagen nicht mehr.
Nun aber war das Fest zu Ende. Die Kinder schliefen, die Frauen hatten das Geschirr weggeräumt und waren in ihren Pontoks verschwunden. Die Männer hatten sich aus der Ferne vor den weißen Frauen verbeugt und waren ebenfalls zu Bett gegangen. Nur Ruth und Margaret Salden saßen noch am verlöschenden Feuer und sahen in die Glut.
»Wie ist das alles gekommen?«, unterbrach Ruth nach einer Weile das Schweigen. »Erzähl mir die ganze Geschichte.«
»Was weißt du darüber?«, fragte Margaret.
Ruth zuckte mit den Schultern. »Nicht viel, eigentlich fast nichts. Was ich weiß, weiß ich aus meinen Träumen, von denen ich vermute, dass sie mit dem Sehnsuchtsstein in Verbindung stehen.« Sie holte den Stein aus ihrem Ausschnitt, um ihn ihrer Großmutter zu zeigen.
Margaret nickte und trank einen Schluck Wasser. »Der Stein, ja,
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