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Das Flüstern der Stille

Das Flüstern der Stille

Titel: Das Flüstern der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Senn Heather Gudenkauf
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die sich für mich zu interessieren scheint.
    „Haben Sie Familie hier im Ort?“
    „Nein, nur uns vier.“
    „Freunde, die Sie anrufen können?“
    „Nein“, flüstere ich, und wieder einmal umzingelt mich die Einsamkeit. Zum ersten Mal werde ich mir der Isolation bewusst, in der ich in meiner eigenen Heimatstadt lebe.
    „Ich heiße Rose Callahan. Ich habe um zehn Uhr Schichtende“, sagt sie. „Sobald die Ärzte und Schwestern Calli untersucht und untergebracht haben, kann ich mich gern um sie kümmern. Ich bin sicher, dass sie sie zur Beobachtung über Nacht dabehalten wollen. Nach dem Tag im Wald wird sie sehr ausgetrocknet sein. Haben Sie gesehen, dass sich die Haut an ihrer Hand, als ich die Nadel eingestochen habe, nicht sofort wieder glatt anlegte? Das nennt man einen verminderten Turgor, ein Anzeichen für Dehydrierung. Er ist einfach zu beheben, aber wir müssen sie im Auge behalten. Ich würde wirklich gern bei ihr bleiben, wenn Sie woanders benötigt werden.“
    Ich zögere und antworte nicht gleich.
    „Jeder im Krankenhaus kennt mich. Ich habe drei eigene Enkelkinder, aber die leben weiter im Westen.“
    „Ich weiß nicht …“, setze ich an.
    „Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie mich an. Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer. Und bitte, rufen Sie wirklich an. Ich habe hier in der Stadt auch niemanden mehr. Sind Sie aus Willow Creek?“
    „Ich bin hier geboren und aufgewachsen.“ Wir biegen auf die Zufahrt zum Krankenhaus ein. Rose schreibt ihre Nummer auf einen Zettel und gibt ihn mir.
    „Sie rufen mich an, hören Sie? Wenn Sie was brauchen, rufen Sie an.“
    „Das werde ich. Danke“, sage ich. Schwestern und Pfleger eilen auf unseren Krankenwagen zu, ziehen die Trage mit Calli vorsichtig heraus und schieben sie in die Notaufnahme, während Rose und ihr Partner sie über Callis Zustand informieren.
    „Das hier ist Toni Clark, Callis Mutter“, stellt Rose mich vor.
    „Bitte kommen Sie mit mir, Mrs. Clark“, bittet mich ein Krankenpfleger, und ich folge ihm in den Untersuchungsraum. Ich drehe mich noch einmal um, weil ich Rose zuwinken will, aber sie ist schon fort. „Erzählen Sie mir, was mit Calli passiert ist“, bittet er.
    „Ich bin mir nicht sicher. Sie war heute Morgen nicht in ihrem Bett, und wir konnten sie nicht finden. Ein anderes kleines Mädchen, Petra Gregory, ist immer noch auf der Klippe im Wald. Die Polizei hat den ganzen Tag nach den beiden gesucht. Calli kam … so aus dem Wald gelaufen“, sage ich und zeige auf ihre zerkratzen Beine und blutenden Füße, das schmutzige Nachthemd.
    „Konnte Sie Ihnen sagen, was passiert ist?“
    „Nein.“ Ich schüttle den Kopf. „Aber sie hat den Namen ihres Bruders gesagt, Ben. Er ist immer noch da oben.“
    Der Pfleger schaut mich verwirrt an. „Ihre beiden Kinder waren vermisst?“
    „Nein, nur Calli und ihre Freundin, nicht Ben. Er hat nach ihnen gesucht. Calli kam raus, Ben nicht. Noch nicht.“ Ich bin so müde; die ganze Geschichte ergibt selbst für mich keinen Sinn. „Die Polizei ist gerade dabei, sie zu suchen.“
    „Ich bin mir sicher, dass bald ein Polizist hier vorbeikommt“, versichert der Pfleger mir. „Er oder sie wird möglicherweise Calli danach befragen wollen, woran sie sich erinnert. Aber bevor das passiert, haben wir sie untersucht und ein wenig gesäubert.“
    „Okay, danke“, sage ich.
    „Dr. Higby wird gleich bei Ihnen sein.“ Der Pfleger lässt mich mit Calli allein in dem hell erleuchteten Raum zurück, und ich versuche, ihr das verfilzte Haar aus der Stirn zu streichen.
    Calli will sich zu einem kleinen Ball zusammenrollen, aber das ist schwierig, da der Untersuchungstisch so schmal ist. Sie schiebt sich einen schmutzigen Daumen in den Mund, und alle paar Sekunden flattern ihre Lider, als versuche sie, die Augen zu öffnen, aber sie bleiben geschlossen. Ich höre, dass die Tür hinter mir geöffnet wird, und dann tritt ein Mann ein; der Arzt, nehme ich an; er trägt einen weißen Kittel. Er hat eine Glatze, sein Kopf glänzt unter dem fluoreszierenden Deckenlicht. Er trägt eine Brille mit rotem Gestell und eine Krawatte mit Smileys darauf.
    „Ich bin Dr. Higby“, stellt er sich vor. Er streckt mir die Hand hin, und ich schüttle sie. Er hat einen festen Händedruck, und ich bin einen Moment irritiert, wie sehr seine Hände denen von Griff gleichen, stark und schwielig von harter Arbeit. „Erzählen Sie mir etwas über unsere kleine Patientin“, bittet er mich und schaut auf Calli hinab,

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