Das Fluestern des Todes
wütend auf sich selbst war.
Und er konnte einfach nicht fassen, dass Ella durch seine Fahrlässigkeit fast umgekommen wäre. Das Einzige, was sie gerettet hatte, war wohl ihre Attraktivität und dieser unschuldig-naive Blick – und die Tatsache, dass der Killer noch jung und dumm genug war, um sich von so etwas ablenken zu lassen.
Aber all seinen Versäumnissen zum Trotz: Immerhin war sie noch am Leben. Und er war sich ziemlich sicher, dass es auch dabei bleiben würde, wenn er sie erst einmal aus Italien herausgeschafft hätte. Was danach passierte, fiel nicht mehr in seinen Aufgabenbereich.
Ella kam aus dem Bad und fuhr sich mit der Bürste durchs nasse Haar. Sie trug ein enges Top und einen langen Hippie-Rock, der sie größer wirken ließ und Busen und Taille betonte – was in ihm die Erinnerung an die letzte Nacht weckte und an Gedanken, die er lieber aus seinem Hirn verbannen sollte, weil sie einfach fehl am Platz waren. Es gab wichtigere Dinge, mit denen er sich beschäftigen musste.
»Hübsch.« Sie antwortete mit einem flüchtigen Lächeln, schaute ihn dann aber gleich besorgt an, als sie Chris’ Abwesenheit registrierte. »Er zieht sich in meinem Zimmer um.«
»Wie geht’s ihm denn?«
»Ganz gut so weit.«
Sie starrte für eine Sekunde auf den Boden, um ihm dann direkt ins Gesicht zu schauen: »Es ist unverzeihlich, wie Sie sich ihm gegenüber verhalten haben.«
Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Auch wenn die Umstände sicher chaotisch waren, hatte er ihr in den letzten vierundzwanzig Stunden zweimal das Leben gerettet und dafür drei Menschen getötet – aber trotzdem war es unentschuldbar, dass er ihren Freund, der fast alles vermasselt hätte, so hart anpackte, dass er sich in die Hose machte?
Andererseits konnte er ja durchaus nachvollziehen, wie sich die Situation aus ihrer Perspektive darstellte. Sie war mit ihrem Liebsten auf einer Europareise, als sie plötzlich mit einem Albtraum konfrontiert wurden – und der einzige Fixpunkt in diesem Albtraum war Lucas selbst. Sie war völlig verängstigt – und das aus gutem Grund – und hatte niemanden, dem sie ihr Herz ausschütten konnte.
»Du hast recht: Es war unverantwortlich.« Er überlegte, ob er dem noch etwas hinzufügen wollte, war sich aber nicht sicher, ob er den reuigen Sünder überzeugend spielen konnte. »Steck die anderen Klamotten in eine Tasche. Wir müssen gleich los.« Sie schien noch etwas sagen zu wollen, aber nach einer Weile machte sie sich daran, die Sachen einzupacken.
Es klopfte an der Tür, und Chris sagte: »Craig hier.«
Lucas ließ ihn herein und wiederholte die Anweisungen, die er bereits Ella gegeben hatte, hauptsächlich um sich die peinliche Stille zu ersparen. » Chris, als du letzte Nacht mit deinem Bruder telefoniert hast: Hast du da in irgendeiner Form über mich gesprochen?«
Chris schüttelte energisch den Kopf. »Ich hab nicht mal erwähnt, dass wir Ärger haben – nur dass wir wieder in Florenz in diesem Hotel sind. Das ist alles. Ich wollte nur, dass sie wissen …« Er ersparte sich weitere Erklärungen, weil er sich wohl noch gut daran erinnerte, wie das letzte Gespräch zu diesem Thema verlaufen war.
»Sehr gut.« Er schaute sie beide an. »Auf dem Weg zum Bahnhof müsst ihr entspannt wirken, gleichzeitig aber auch aufmerksam sein. Und alles tun, was ich euch sage. Sollte ich abgeknallt werden, wehrt euch mit Händen und Füßen – werft die Taschen auf sie, benutzt jede Waffe, die ihr in die Finger kriegt, lauft weg, geht zur Polizei, verstanden?« Sie nickten beunruhigt, vielleicht weil sie sich gerade vorstellten, dass er tatsächlich erschossen werden und ihnen dann nicht mehr helfen konnte. »Gut. Los geht’s.«
Chris nahm den neuen Rucksack, aber Lucas drückte ihm auch den alten in die Hand. Ella hatte die Tragetasche und Lucas seinen eigenen Rucksack. Er führte sie über den Korridor an der Rezeption vorbei, wo noch immer niemand saß, auch wenn man aus einem benachbarten Raum den Fernseher hören konnte.
Am Aufzug zögerte er. Es war einer dieser altmodischen Drahtkäfige, die sie zu einer leichten Beute machten, sollte im Parterre jemand auf sie warten. Er zeigte zum Treppenhaus und legte einen Finger auf die Lippen. Vorsichtig gingen sie hinter ihm her. In der lauter werdenden Geräuschkulisse der Straße waren ihre Schritte kaum zu hören.
Auf der Mitte der letzten Treppe bedeutete er ihnen zu warten und ging alleine weiter, um einen Blick in die Lobby zu werfen.
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