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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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Steuermann trat mit dem Fernrohr in der Hand heran.
    »Was geht hier vor?«
    »Seht nur!« Er wies aufs Wasser. »Die haben bestimmt an die fünfzig Kanonen.«
    In der Ferne war ein Schiff zu sehen, das nach einer Halse nun mit voller Fahrt vor dem Wind auf sie zukam.
    »Unsere Reise war einfach viel zu ruhig …«
    »Kennst du den Kahn?«, fragte Catroux.
    »Ich denke ja«, murmelte La Bouche. »Ich kann es aber noch nicht mit Sicherheit sagen … Er ist zu weit entfernt.«
    »Er führt eine weiße Flagge«, warf Matthieu nach einem Blick durch das Fernrohr ein. »Zumindest sind es keine Piraten …«
    »Eine weiße Flagge?«, rief Catroux. »Um Gottes willen, das habe ich gar nicht gesehen, die Sonne hat mich geblendet. Gib mir das Fernrohr!«
    Auf den Gesichtern der Matrosen, die Segel im Hellegatt verstauten, zeichnete sich Besorgnis ab. Plötzlich spannten sich die Taue mit einem unheimlichen Knarren.
    »Was ist denn?«, fragte Matthieu beunruhigt.
    »Wir sollten keine vorschnellen Schlüsse ziehen.«
    »Für Gott und die Freiheit …«, rezitierte Catroux, die Augen immer noch am Fernglas.
    »Was soll das heißen?«, fragte der Musiker weiter.
    »Das ist das Motto der Victoire .«
    »Er ist es also wirklich …«
    »Wer?«
    »Kapitän Misson!«, rief einer der Seeleute.
    Die anderen begannen, aufgebracht durcheinanderzureden.
    »Ruhe!«, befahl der Kapitän.
    »Wer ist dieser Misson?«
    »Ein Mann, der Stoff für Legenden bietet«, erklärte La Bouche ruhig. »Der Wind ist stark genug. Wenn sie uns bis Sonnenuntergang nicht erreicht haben, können wir uns in der Dunkelheit verbergen.«
    »Bootsmann!«
    »Ja, Kapitän!«
    »Alles nach Backbord! Focken und Klüver setzen!«
    »Ihr habt es gehört, Männer!«, rief dieser ungerührt. »Alles nach Backbord! Focken und Klüver setzen!«
    Augenblicklich begannen die Matrosen an Deck hin- und herzulaufen und durcheinanderzurufen. Im Gewirr aus Tauen und Leitern nahm jedes Mitglied der Besatzung seinen Platz ein. Wer noch untätig herumstand, bekam bald genaue Anweisungen. Einige Männer kletterten in die Rahen, um die Reffknoten der Segel zu lösen.
    Was wie ein totes Gerippe dagelegen hatte, wurde wieder zu einem stolzen Schiff, das die Brust reckte und sich Wind und Wellen stellte. Die Aventure wendete und krängte. Die Wanten überspannten das Deck.
    Sie segelten nun hart am Wind, der Schoner nahm Fahrt auf und krachte immer wieder gegen die Wasseroberfläche.
    Matthieu hätte nie gedacht, dass er zu solch einer Geschwindigkeit fähig wäre. Als er sah, dass an Backbord Wasser über das Schandeck schwappte, schleppte er sich nach Steuerbord. Dann wandte er sich um und fixierte die weiße Flagge, die in der Ferne flatterte.
    »Wer bist du, Misson?«, fragte er sich. Er machte sich Sorgen, denn zum ersten Mal, seit sie La Rochelle hinter sich gelassen hatten, war auf dem Gesicht des Kapitäns eine gewisse Unruhe zu erahnen.

7
    F ünf Stunden nach dem Sichten der Victoire wurde die Aventure noch immer einer wahren Belastungsprobe unterzogen. Nach all den Anstrengungen warteten die Männer darauf, dass das Log ihnen eine Zunahme der Geschwindigkeit anzeigte, aber es gelang ihnen trotzdem nicht, den Abstand zu den Verfolgern auch nur um eine Meile zu vergrößern. Ganz im Gegenteil, das andere Schiff kam näher und näher. Die Hochspannung an Deck hätte wohl leicht die ganze Pulverkammer in die Luft sprengen können. Die Seeleute beteten, dass der Wind nicht drehte. Matthieu verließ seinen Spähposten am Heck nicht einen Moment. Er konnte Misson in der Ferne an Bord erahnen. Wie eine lebende Galionsfigur stand er da, und der Musiker verspürte den seltsamen Wunsch, ihn einmal von nahem zu sehen, wozu er ja vermutlich bald Gelegenheit haben würde.
    »Woraus ist dieses Schiff nur gemacht?«, fragte La Bouche mit einem Mal verzweifelt.
    »Schneller geht es einfach nicht«, rechtfertigte sich sein zweiter Mann, der wegen des stechenden Windes mit halbgeschlossenen Augen neben dem Steuermann stand.
    »Ich weiß …«, murmelte der Kapitän, während er das Achterkastell verließ und in Richtung Kajüte ging. »Ich weiß.«
    Matthieu nutzte die Gelegenheit, um sich Catroux zu nähern. Er hielt sich gut fest, um nicht von einer Welle zu Boden gerissen zu werden, und brüllte ihm laut ins Ohr.
    »Was meinte der Kapitän damit, dass Misson Stoff für Legenden bietet?«
    »Du solltest dich lieber darauf beschränken, ein Gebet zu sprechen, wenn du eines kennst«, schnitt

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