Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
Schrei von Nastja Trjapkina gekommen war, dem Stubenmädchen, das um halb drei Uhr nachts ins Schlafzimmer der Hausherrin geschaut hatte.
Auf die Frage, warum sie nicht geschlafen und weshalb sie in das Zimmer geschaut habe, gab Nastja an, ihre Herrin habe ihr am Abend befohlen, sie vorerst nicht auszukleiden, sondern zu warten – wahrscheinlich wollte sie noch am Fenster sitzen und träumen.
Nastja wartete über eine Stunde. Nach ihren Worten hielt sie sich die ganze Zeit im Korridor auf. Freilich stand sie nicht vor der Tür, sondern bei der Treppe – dort hängen Bilder an den Wänden, und Nastja betrachtete sie, um sich die Langeweile zu vertreiben. Aber sie schwört bei Gott, dass niemand das Schlafzimmer betrat, das wäre ihr nicht entgangen, außerdem knarrt die Tür. Schließlich dachte sie, ihre Herrin sei im Sessel eingeschlafen, und wollte nun doch nach dem Rechten sehen. Sie schrie auf und fiel in Ohnmacht.
Ich war der Zweite am Tatort, darum schildere ich das Weitere aus eigener Beobachtung.
Als ich mich der offenen Tür des Schlafzimmers näherte, sah ich zunächst Nastjas leblosen Körper und fühlte den Puls an ihrem Hals. Ich stellte fest, dass sie lebte und keine sichtbaren Wunden hatte, und ging ins Zimmer.
Sie wissen, Chef, dass ich im Dienst so manches gesehen habe. Erinnern Sie sich an die Ermordung der Kaufmannsfrau Grymsina im letzten Jahr? Da behielt ich die Fassung und ließ sogar noch den Untersuchungsführer Moskalenko Salmiak riechen. Hier gab es kein Blut, keine abgehackten Gliedmaßen, trotzdem war es das blanke Grauen.
Aber der Reihe nach.
Die Getötete saß im Sessel am offenen Fenster. Ich begriff sofort,
dass sie tot war, denn ihr Kopf hing zur Seite, wie eine Margerite oder Löwenzahnblüte an einem abgerissenen Stängel.
Zuerst war ich gar nicht erschrocken – jemand hat sie umgebracht, na schön. Ein gewöhnliches Verbrechen, dachte ich, das klären wir auf. Auch als ich die Lampe anzündete und die Strangulationsfurche an ihrem Hals sah, maß ich dem keine besondere Bedeutung bei. Klarer Fall, dachte ich: erwürgt. Obwohl es mir gleich sonderbar vorkam, dass der Streifen so breit war. Gewöhnlich wird ein Riemen benutzt, eine Schnur, ein Strick. Aber hier war der rote Abdruck handbreit.
Als Erstes ging ich natürlich zum offenen Fenster. Auf dem Fensterbrett keine Spur. Ich sprang hinaus, leuchtete mit der Lampe. Und da grauste mir so, dass ich einige Minuten keinen Schritt tun konnte, wirklich wahr.
Rund um das Herrenhaus ist feiner Sand gestreut, damit nach dem Regen keine Pfützen stehen bleiben. Also, auf dem Sand war deutlich eine gewundene Spur zu sehen, die sich vom Schlafzimmerfenster bis zum Gebüsch zog. Haargenau so eine wie unter der Plane.
Chef, Sie kennen mich. Ich glaube nicht an Teufel und all solchen Blödsinn, aber wo kommt die Spur her? Angenommen, im Faulen Moor haust irgendein gigantisches Reptil, in der Natur gibt es ja alle möglichen Wunder. Aber konnte es zum Fenster hineinkriechen? Unmöglich!
Ich schäme mich, es zu sagen, doch ich habe sogar ein Gebet gesprochen, um Böses abzuwenden. Erst dann, nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, stellte ich Überlegungen an, wie Sie es mich gelehrt haben.
Na schön, dachte ich. Wie konnte dieser Mord ohne übernatürliche Ursachen geschehen?
Angenommen, der Täter hatte sich schon vorher im Schlafzimmer versteckt. Als Warwara Iljinitschna hereinkam und sich ans Fenster setzte, schlich er sich von hinten heran und erwürgte sie, sagen wir,
mit einem zusammengedrehten Handtuch, danach sprang er aus dem Fenster und zeichnete die Spur der Skarpea in den Sand – mit einem Holzscheit oder etwas Ähnlichem.
Fußspuren gibt es unter dem Fenster viele, den ganzen Tag gehen da Leute, aber Sie wissen ja selbst, dass Spuren im Sand nichts hergeben.
Der Kreispolizeichef war natürlich da, dann der Arzt, der Untersuchungsführer. Letzterer ist ein völlig untaugliches Subjekt. Er war richtig froh, dass sich Ihr Assistent in Baskakowka aufhält, und hat die ganze Untersuchung auf mich abgewälzt. Er sagte: Wir leben hier in der Einöde und hatten noch nie mit solch ausgeklügelten Verbrechen zu tun. Anissi Pitirimowitsch, lassen Sie uns nicht im Stich. Auf Ihnen ruht alle Hoffnung. Dann befahl er den Polizisten, meinen Anordnungen Folge zu leisten, und fuhr davon, der Schuft.
Natürlich verstehe ich, dass Sie in der Nähe Ihrer Kaiserlichen Majestät bleiben müssen und sich nicht entfernen dürfen,
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