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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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ihren Körper mühevoll von dem Tisch. Ebenso widerwillig,
wie sie seine auffallende Erscheinung zur Kenntnis nahm, wollte sie sich für
sein Einschreiten bedanken. »Wenn Sie nicht gewesen wären«, begann sie zögernd,
»dann wäre das sehr schlimm für mich ausgegangen.«
    Er schaute sie immer noch an. Seine für einen Mann zarten Lippen
blieben geschlossen.
    »Ich bedanke mich für Ihre Ritterlichkeit«, setzte sie hinzu.
»Aber ich befürchte, ich werde mich nicht revanchieren können.«
    Als sie schon gar nicht mehr damit rechnete, richtete er doch noch
das Wort an sie. »Du bist gar kein Mädchen.« Seine Augenbrauen zuckten kurz in
die Höhe. Ob beeindruckt oder spöttisch, war für Bernina nicht ganz klar.
»Sondern eine Frau. Und wenn du ein besseres Kleid tragen würdest …« Er
vollendete den Satz nicht.
    Bernina wandte sich der Tür zu und machte
einen Schritt an dem Mann vorbei. Doch seine Hand legte sich auf ihren Arm.
    »Du willst zu dem Kerl mit den schwarzen Haaren, nehme ich an.« Es
klang nicht wie eine Frage.
    »Was geht Sie das an?«, erwiderte Bernina mit plötzlich
aufkommendem Trotz. Irgendetwas an diesem Fremden machte sie wütend –
ungeachtet der Tatsache, dass er ihr eben noch beigestanden hatte. Lag es an
seiner betont zur Schau getragenen Ruhe? Seiner Art, sie anzusehen?
    Ein leichtes Grinsen umspielte seine Mundwinkel und brachte den
feinen blonden Zwirbelbart kurz zum Erzittern. »Dein Freund … oder dein
Ehemann?«
    Sie erwiderte nichts.
    Die Hand des Mannes löste sich von ihr. »Wer immer er sein mag.
Jetzt jedenfalls wird er erst einmal zu einer Gruppe weiterer Gefangener
gebracht. Falls er dir am Herzen liegt, kannst du dich nach dem Angriff des
Feindes nach ihm erkundigen.«
    Sie nickte, zeigte ihre Wut nun ebenso offen in ihrem Blick wie er
seine Gelassenheit. »Ja, er liegt mir am Herzen. Sogar sehr. Und ich möchte
wissen, warum er überhaupt Ihr Gefangener ist. Er hat niemandem etwas angetan.«
    »Einige meiner Offiziere sehen das anders. Einen von ihnen hat der
Mann sogar tätlich angegriffen und daher …«
    »Weil er einer Dame beigestanden hat«, unterbrach ihn Bernina. Sie
konnte sich einfach nicht mehr beherrschen. »So wie Sie mir gerade. Sind Sie
deshalb auch ein Gefangener? Und werden Sie jetzt auch ausgepeitscht?«
    Der Mann lachte auf. »Meinen Respekt! Dein Temperament würde dem
einen oder anderen meiner Soldaten auch gut zu Gesicht stehen.«
    »Lassen wir doch dieses Gerede«, fuhr sie ihn an. »Sagen Sie mir
lieber, wo Ihre Gefangenen sind.«
    »Weißt du, wo das Rathaus ist? Wir haben es besetzt. Dort kannst
du nach dem Mann fragen. Aber nicht jetzt. Keiner wird dir Auskunft geben.
Alles wartet auf den Angriff.«
    Sie duellierten sich mit den Augen.
    »Und nun«, fuhr der Oberst fort, »sieh lieber zu, dass du dich
rasch in Sicherheit bringst. Ich glaube, Ippenheim wird heute noch ein sehr
unfreundlicher Ort werden.«
    Mit einem letzten Blitzen in ihrem Blick ging Bernina an ihm
vorbei. Als sie auf den langen Gang hinaustrat, durch den die Soldaten sie
getragen hatten, hörte sie noch einmal seine Stimme, diesmal mit deutlich
ironischem Unterton: »Ich hoffe, wir treffen uns wieder einmal.«
    Ohne zu antworten, setzte Bernina ihren Weg fort, die Gedanken
längst wieder bei Anselmo. Sie kam an einem Raum vorbei, dessen Tür weit offen
stand. Im Vorübergehen nahm sie ein Gemälde wahr, das dort an der Wand hing.
    Abrupt blieb sie stehen. Dann betrat sie das Zimmer, dessen
Einrichtung nur aus ein paar eleganten Stühlen und einer leeren Tafel bestand.
Das Gemälde, umfasst von einem breiten, schweren Rahmen, reichte fast vom Boden
bis hinauf zur Decke, es dominierte seine Umgebung, wirkte auf irritierende
Weise noch viel größer, als es ohnehin schon war.
    Nie zuvor hatte Bernina tiefere Farben
gesehen, nie ein derart schönes Bild. Doch es war nicht die Schönheit, die sie
lähmte, sondern schlicht und einfach das, was das Gemälde zeigte. Vor dem
Hintergrund eines dunklen Waldes sah man ein kleines Mädchen auf einer Wiese,
das sich ein wenig bückte, um eine Blume zu pflücken. Bernina trat noch ein
Stück näher. Ihre Kehle fühlte sich trocken an, ihre Handflächen dagegen
feucht. Dieses Mädchen. Dieses kleine Mädchen mit dem leuchtend blonden,
beinahe goldenen Haar. Es war unglaublich. Das Gesicht wurde nur im Profil
gestreift, offenbarte außer der hübschen Nasenspitze nicht allzu viel, und doch
war sich Bernina sicher. Ganz sicher. Sogar das

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