Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
Vermögen bezahlen! Und Gerlin hoch in Ehren halten, wenn sie es war, die sie ihm zugänglich machte. Die junge Frau dachte ernstlich daran, die wichtigsten Dokumente zusammenzuraffen und zu versuchen zu fliehen. Aber dann wartete sie doch erst einmal ab. Es war zu gefährlich, sich abzusetzen. Die Hengste der Ritter würden ihr ermüdetes Maultier in wenigen Augenblicken einholen. Dennoch packte sie schließlich Johanns Briefe zusammen und versteckte sie in den Taschen ihres Gewandes. Wenn es irgendwann eine Möglichkeit zur Flucht gab, hätte sie so immerhin ihr Faustpfand. Und wahrscheinlich würde man sie auch nicht durchsuchen, falls Richard sie auslöste. Sie brächte ihm die Briefe dann sozusagen als Morgengabe. Ein Gedanke, bei dem Gerlin beinahe lachen musste.
Aber dann, es dämmerte eben, und Gerlin hatte die Lektüre weiterer Schriftstücke mangels Licht unwillig beendet, stoppte der Wagen abrupt.
»Für König Richard im Namen der Hohen Minne!«
Gerlin vernahm den Hufschlag herangaloppierender Pferde und eine Stimme, die ihr Herz sofort schneller schlagen ließ. Das war doch ... nein, das konnte nicht sein! Und doch war da dieser Anflug von Amüsement in der klangvollen Tenorstimme, dieser vergnügte Unterton eines Ritters, der lachend in den Kampf ritt und sich unbesiegbar fühlte. Ein Gefühl, an dem sie so gern und viel zu selten Anteil gehabt hatte ...
Gerlin versuchte, die Plane zu heben und ins Freie zu schauen, während um den Wagen herum die Hölle losbrach. Florís de Trillon musste die Ritter des Königs mit weiteren Männern angegriffen haben, ein solches Gefecht hatte Gerlin noch nie erlebt. Natürlich hatte sie auf Turnieren bereits Massenkämpfe gesehen und den Überfall auf ihre »Pilgergruppe« miterlebt, aber sie war niemals so im Zentrum des Geschehens gewesen, und der Buhurt wurde auch nicht mit scharfen Waffen ausgetragen. Jetzt aber klirrten um Gerlin und ihren Sohn herum die Schwerter, Lanzen prallten auf Brustpanzer, Schilde stießen aneinander, Ritter brüllten einander an und tauschten Schmähreden, während sie aufeinander einschlugen.
Der Kutscher des Planwagens beteiligte sich nicht am Gefecht, sondern versteckte sich gleich unter dem Bock. Er war Gerlin schon vorher wenig kriegerisch veranlagt erschienen. Gerlin selbst hatte sich inzwischen zum Bock durchgetastet und schaute fassungslos in das Gewühl, in dem sie weder Freund noch Feind ausmachen konnte. Das Gefecht schien ihr verhältnismäßig ausgeglichen - obwohl sie weniger Ritter ausmachte, als eigentlich zu dieser Vorhut gehört hatten. Hatten sich da welche aus dem Staub gemacht? Gerlin konnte es kaum glauben, aber die Standarte des Königs war nirgends zu entdecken. Und die verbleibenden französischen Ritter schlugen sich vor allem um das Kronarchiv!
»König Philipp ist weg!«
Das Verschwinden des Königs wurde nun auch den angreifenden Rittern bewusst. Die Männer wirkten bestürzt und unterbrachen kurz das Kampfgeschehen.
»Sollen wir hinterher?«
Während die Ritter noch zögerten, sprang einer der Franzosen vom Pferd und stürzte auf den Planwagen zu. Gerlin erkannte den Ritter, den ihr der Kutscher zuvor als den Archivar vorgestellt hatte - der Mann musste wissen, wie kostbar das Gut war, das die Angreifer eben fast zurückgelassen hätten, um dem König nachzusetzen. Todesmutig ließ er sein Pferd stehen und schwang sich auf den Bock des Wagens. Während die anderen Männer die Angreifer beschäftigten, setzte er die Pferde mit gezieltem Peitschenschlag in Galopp. Die erschrockenen Tiere zerrten den Wagen durch das Kampfgetümmel und hinter den fliehenden Rittern des Königs her.
Florís und seine Männer setzten den unerbittlichen Kampf mit ihren Gegnern fort. Keiner von ihnen kümmerte sich um den Wagen - und vorerst schien auch niemand nach Gerlin zu suchen. Womöglich schaffte es der Archivar wirklich noch, den Planwagen in Sicherheit zu bringen. Und damit die Dokumente und die Geiseln!
Tatsächlich bestätigten sich Gerlins schlimmste Befürchtungen, als der Mann den Wagen gleich darauf über einen Seitenweg in den Wald lenkte, statt auf dem Hauptweg zu bleiben und dem König zu folgen. Wenn er damit zwischen den Bäumen verschwand, würde Florís ihn nicht finden. Aber die Verfolgung des Königs würde den Rittern sicher auch wichtiger sein als die Eroberung von ein paar Papieren.
Gerlins Gedanken rasten, aber dann griff sie nach einem der riesigen Folianten, die im Bauch des Planwagens
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