Das Geheimnis der Salzschwestern
zurückgelassen hatte.
»Ethan«, sagte sie und trat von hinten an ihn heran. Er war der einzige Mensch, nach dem sie sich so sehr sehnte, und den sie doch zugleich nie wiedersehen wollte. Ihr fiel auf, dass er zwar den Priesterkragen trug, aber zu einem kurzärmeligen Hemd, das die anmutigen Formen seiner Unterarme zeigte. Wenn sie ganz scharf hinsah, dachte Claire, dann konnte sie vielleicht seinen Puls ausfindig machen. An dieser Stelle hatte sie ihn immer und immer wieder geküsst. Sie starrte auf ihre Schuhe und bekam plötzlich kein Wort mehr heraus.
»Claire.« Warum klang ihr Name aus seinem Mund immer wie Glockenmusik? Sie konnte den Nachhall in der Magengrube und sogar in den Kniekehlen spüren. »Deine Haare«, bemerkte Ethan. »Die trägst du jetzt …«
»Offen.« Sie griff nach hinten und glättete ihre Locken.
»Gefällt mir gut. Das passt zu dir.«
»Danke.« Plötzlich fiel ihr das Atmen schwer. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass ihre Venen und Arterien sich in den letzten dreizehn Jahren ganz eng zusammengezogen hatten, so dass sie gerade noch die Blutzirkulation ermöglichten, mehr aber auch nicht. Kein Lachen. Keine Zuneigung. Und Leidenschaft schon mal gar nicht. Zumindest nicht, bis Ethan wieder aufgetaucht war. An dem Morgen in den Dünen hatte sie sich so sehr nach ihm verzehrt, dass sie nicht einmal ein schlechtes Gewissen gehabt hatte, aber was sollte sie denn jetzt nur tun? Manchmal hatte sie das Gefühl, dass man die Schatten der Vergangenheit nur dann loswerden konnte, wenn man sie noch einmal durchlebte.
Jetzt verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken und biss sich auf die Lippe. Langsam erkannte sie, was ihr Problem war. Sie war eine Frau, die immer genau das hatte, was sie nicht wollte, und vielleicht gehörte Ethan jetzt sogar dazu. Er war nämlich nicht mehr der Junge, der damals fortgegangen war. Er war ein Mann, hinter dem zwölf Jahre lagen, von denen Claire überhaupt nichts wusste. Sie war so dumm gewesen, sich einzureden, dass Geschichte nicht wichtig war.
»Was machst du denn hier draußen?«, fragte sie schließlich. Zu spät kam ihr die Antwort in den Sinn . Mir aus dem Weg gehen. Er wurde rot. »Das Gleiche wie alle anderen, einkaufen. Und du?«
Würde es sich in Zukunft darauf beschränken, fragte sich Claire. Würden sie Small Talk betreiben wie bei einer Cocktailparty? Sie konnte sich eine Zukunft mit Plaudereien über das Wetter einfach nicht vorstellen. »Ich verkaufe Kuchen, den ich gebacken habe«, erklärte sie.
»Und, gehen die Geschäfte gut?«
Sie versuchte, unbeschwert zu klingen: »Ich bin alles in zwei Stunden losgeworden. Wenn du nächste Woche kommst, hebe ich dir was auf.«
Ethan sah gequält drein. »Claire, was das angeht, weiß ich jetzt gar nicht, wie ich dir das sagen soll, aber … Ich habe um Versetzung gebeten. Warte …« Er griff nach ihrer Hand, als sie sich abwenden wollte. »Ich habe vor kurzem deine Schwester getroffen, und da bin ich ins Grübeln gekommen. Was ist denn, wenn ich damit einen Fehler mache?«
Claire spürte, wie etwas ihr die Kehle zuschnürte. Sie hatte so lange darauf gewartet, diese Worte von ihm zu hören, aber sie kamen um Jahre zu spät. Es waren nur noch leere Geisterworte. Selbst wenn er ihretwegen sein Gelübde brach, würde Gott immer zwischen ihnen stehen. Sie ließ den Kopf hängen. Würde sie es denn nie lernen? Liebe war doch keine Liste, die man im Herzen abhakte. Sie bestand vielmehr aus den tagtäglichen kleinen Pflichten und Opfern, das hatte Jordy ihr gezeigt. Sie schüttelte den Kopf und brachte kein Wort heraus. Mit tränenerfülltem Blick ließ Ethan ihre Hand los. »Ich denke, das war es dann wohl«, würgte er hervor.
Claire wandte sich ab. Sie konnte ihm nicht mehr in die Augen sehen. »Ja«, brachte sie schließlich heraus. »Das denke ich auch.«
Sie konnte seinen Blick im Nacken spüren, als sie zurück zu ihrem Stand ging. In der nächsten Woche, beschloss sie, würde sie einen Teufelskuchen mit ganz viel Rum backen und ihren Kunden dafür das Doppelte berechnen oder sie einfach sabbernd stehen lassen. Von jetzt an konnte sich niemand mehr einfach etwas nehmen, was ihr gehörte – weder Whit noch ihren Kuchen und ganz besonders nicht Ethan Stone und ihr armes, malträtiertes Herz.
Als Jo und sie zur Salt Creek Farm zurückfuhren, hatten sie im Truck die Fenster ganz heruntergekurbelt. Das half zwar nicht gegen die Hitze, versetzte die Luftmassen aber wenigstens in Bewegung.
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