Das Geheimnis des Himmels
werde ich Euch anteilig in Rechnung stellen müssen.“
„Das geht schon in Ordnung“, erwiderte Bernhardi müde.
„Gut, dann mache ich mich auf den Weg nach unten. Mal sehen, ob Heinrich mit seiner Aufgabe fertiggeworden ist.“ Er polterte mit schweren Schritten die Treppe zur Schankstube hinunter.
Bernhardi entledigte sich seiner Reisekleidung, nur den langen Dolch behielt er in seiner Nähe. Nicht dass er sich besonders unsicher fühlte, aber er war immer darauf gefasst, eventuell wegen eines Feuers oder anderer Unannehmlichkeiten schnell seinen Ort verlassen zu müssen. Und in einem solchen Falle wollte er bereit sein. Nach einiger Zeit gelang es ihm tatsächlich, in den wohlverdienten Schlaf hinüberzudämmern. In seinen Träumen verfolgten ihn monströse Bilder. Reinhardus tauchte mit schäumenden Lippen auf. Sein wutverzerrtes Gesicht verwandelte sich in ein spöttisches, arrogantes Grinsen … Und dieses wiederum löste sich in einer Orgie griechischer Buchstaben auf, die ihn überschütteten und ihm die Luft nahmen. Er hatte nur eine Säge bei sich und versuchte, sich einen Ausgang aus den Buchstaben, die sich über ihm auftürmten, freizusägen. Dann wurde er wach.
Er glaubte immer noch, die Säge zu hören, und drehte sich zur Seite. Dort lag Gesenius und neben ihm Heinrich, der Kutscher. Das, was er im Traum als Säge gehört hatte, entpuppte sich als das hemmungslos laute Schnarchen des Kaufmanns.Es war noch dunkel, aber an Schlaf war nun nicht mehr zu denken.
Zuerst wälzte Bernhardi sich noch eine Weile hin und her, dann gab er es auf. Er erhob sich leise von seinem Lager. Anzukleiden brauchte er sich nicht weiter, da er bis auf den Reisemantel alles am Leibe trug. Er öffnete die knarrende Tür, aber keiner seiner Begleiter wurde davon wach. Das Magdeburger Bier hatte seine Wirkung getan.
Als er auf den langen Flur trat, meinte Bernhardi leise Stimmen zu hören, die aus dem Schankraum nach oben drangen. Langsam ging er bis zum Absatz der Treppe und stieg einige Stufen hinunter. Wenn er sich bückte, konnte er zwei Gestalten an einem Tisch sitzen sehen, die sich angeregt unterhielten. Eine Diele knackte unter Bernhardis Füßen.
„Still, hast du auch etwas gehört?“, fragte der eine junge Mann, der recht vornehm gekleidet schien.
„Nein, aber soll ich mal nachsehen?“
„Ja, mach schon.“
Bernhardi wusste in diesem Augenblick nicht, wie er sich verhalten sollte. Aber die Entscheidung, ob er sich offenbaren oder leise den Rückzug antreten sollte, wurde ihm abgenommen. Der andere junge Mann stand so ungeschickt von seinem Platz auf, dass er seinen Becher umwarf. Der rote Wein lief ihm über die Kleidung, die genau wie die seines Gegenübers einen gediegenen Eindruck machte.
„O nein, dreimal verflucht!“
„Komm, bleib ruhig! Trockne dich erst einmal ab. Ich weiß schon, warum solche Kerle wie du immer mit doppelter Ausstattung unterwegs sein müssen. Entweder ihr verliert etwas oder ihr verderbt es. Morgen – oder besser in ein paar Stunden – wirst du wohl dein anderes Wams anziehen müssen, mit dem du eigentlich den schönen Magdeburgerinnen imponieren wolltest.“
Der so Angesprochene errötete und wusste nicht recht zu entscheiden, worüber er sich mehr ärgern sollte: über sein Ungeschick oder die Anzüglichkeiten seines Genossen. Die knarrende Diele hatten beide vergessen.
Der Erste, der seinen prächtigen Federhut neben sich platziert hatte, wurde wieder ernster: „Wie ich dir eben schon sagte, wir müssen umsichtig sein. Mir ist von meinem Meister zugetragen worden, dass die Möglichkeit besteht, dass das große Blendwerk doch nicht vom Erdboden vertilgt wurde.“
„Wie das?“, entgegnete sein Begleiter, der immer noch versuchte, sein Gewand zu reinigen.
„Es hat den Anschein, als wüsste Bruder Konrad etwas, das er aber verborgen halten will.“
„Wer ist Bruder Konrad?“
„Ein alter Franziskaner. Er dürfte siebzig Lenze bereits überschritten haben, oder vielleicht sogar noch mehr. Er kannte den Verursacher des großen Blendwerks.“
„Um was handelt es sich bei dem Anschein?“
„Als den Verursacher des großen Blendwerks sein gerechtes Ende ereilt hat, hatte Konrad kaum noch gesprochen. Alle meinten, sein Verstand wäre durch die Ereignisse verwirrt worden. Seit ein paar Wochen verhält er sich auffällig anders. Er hat sogar seit Jahrzehnten zum ersten Mal sein Kloster verlassen.“
„Kann das nicht eine ganz natürliche Ursache
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