Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis des Himmels

Das Geheimnis des Himmels

Titel: Das Geheimnis des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Schoch
Vom Netzwerk:
er sich auf und sah Elisabeth scharf an.
    „Du hast keine Schuld, dafür gibt es keine Schuldigen, weder dich noch die Kinder. Es ist ein Unglück, wie es keinervorhersehen konnte. Du weißt doch, wie ungestüm Anna immer war.“
    Durch das Bild von Anna, das so vor ihren Augen entstand, wurde die Traurigkeit umso schmerzhafter. Jeder wusste, was für ein Temperamentbündel Mensch ihre Tochter gewesen war.
    „Bemüh dich nicht, mir das auszureden. Ich kann zwei und zwei zusammenzählen. Hätte ich die Kinder nicht zum Kräutersammeln geschickt und hätte ich Barbara und Sophia nicht mit ihrer Aufgabe überfordert, so lebte Anna noch. Das ist nicht wegzureden.“
    So hart hatte Bernhardi seine Frau lange nicht mehr reden gehört. Tröstende Worte drangen nicht zu ihr durch, offenbar wollte sie ihre eigene Richterin sein. Bernhardi spürte, wie die selbst gewählte Einsamkeit Elisabeths auf ihn überzugehen drohte. Nun konnte er nicht einmal mehr seinen eigenen Schmerz mit Elisabeth teilen. Zugleich war er selbst noch viel zu überwältigt von dem Unglück, als dass er sie aus ihrer Isolation hätte herausholen können.
    „Wie gehen die Kinder damit um?“
    „Deine Kinder haben auch Namen“, entgegnete Elisabeth vorwurfsvoll, aber ansonsten ausdruckslos. „Lenchen, nein Magdalena ist ganz traurig. Aber als ich ihr erzählte, wie es Anna im Paradies ergeht, hat sie sich damit abgefunden. Katharina verschließt sich und spricht kaum noch. Ihr Husten ist auch wieder stärker geworden. Sophia ist zwar traurig, scheint sich aber von allen am besten mit der Lage abzufinden. Sie betet manchmal für Anna und führt Zwiegespräche mit ihr. Barbara ist zwar auch untröstlich und gibt sich die Schuld, aber sie hat einen starken Berater, der sie neuerdings oft begleitet. Friedrich von der Aue, ein junger Student … Du müsstest ihn kennen, er kommt auch in deine Vorlesungen. Er hat Barbara und Sophia direkt nach dem Unglück gefunden und zu mir gebracht.“
    Bernhardi verstand, dass er dabei war, auch seine zweite Tochter zu verlieren.
    „Ein Verehrer? Jetzt schon? Nach allem, was hier geschehen ist? Er soll sich hüten, Babara zu nahezutreten.“
    „Sei nicht ungerecht, sie ist bereits fünfzehn Jahre alt. Außerdem hat dieser Friedrich tadellose Manieren. Ich bin froh, dass er so gut mit Barbaras Schmerz umzugehen weiß. Es gibt nicht viele Männer, die das können.“
    Der letzte Satz saß. Bernhardi, sonst so eloquent, wusste nichts mehr zu antworten. In seinem Kopf drehte sich alles, und irgendwann war die unvermeidliche Schuldfrage auch bei ihm angekommen.
    „Ich hätte nicht reisen dürfen.“
    „Es ist nicht mehr zu ändern. Ich möchte mich jetzt in meine Kammer begeben. Sei so gut und nimm heute mit der kleinen Gästestube vorlieb. Ich muss allein sein heute Nacht.“
    Mit diesen Worten, die keinen Widerspruch duldeten, beendete Elisabeth ihre Begrüßung und zog sich zurück.
    Bernhardi saß noch eine Weile wie gelähmt an dem großen Eichentisch. Da war keine Frage Elisabeths nach seiner Reise gewesen, kein Interesse an seinen Ergebnissen oder auch nur, wie es ihm ergangen war. Irgendwie schien sich alles um ihn herum aufzulösen. Ihm war klar, dass er jetzt kämpfen musste. Es gab keine sicheren Wahrheiten mehr. Und nun entzog sich ihm auch noch das tiefste Fundament, das er bisher gehabt hatte: seine Liebe zu Elisabeth. Dabei war er im Grunde gar keine Kämpfernatur. Langsam ging er zu einem kleinen Schrank und goss sich etwas Rotwein in den Becher, in der Hoffnung, so zu etwas leichterem Schlaf zu kommen. Dann begab auch er sich zur Ruhe, aber an Schlaf war vorerst nicht zu denken.
    Nie mehr würde er Annas helles Lachen hören, nie mehr von ihrem unbekümmerten und selbstbewussten Wesen angesteckt werden. Nie mehr … Seine Gedanken kreisten. Wie konntensie als Familie jetzt weiterleben? Es mochte sein, dass die Zeit alle Wunden erträglich machte. Heilen jedoch, wie man so oft sagte, konnte sie nicht.
    Hatte er sich in den letzten Jahren nicht viel zu wenig Zeit für seine Töchter und seine Frau genommen? Er dachte an Elisabeth. Bisher war sie ihm immer als die eigentlich Stärkere erschienen. Hatte er es sich damit zu leicht gemacht? War sie verletzlicher, als er geglaubt hatte? Irgendwann versank er in einen unruhigen Schlaf.

14
    Langsam leerte sich der Hörsaal. Bernhardi hatte es irgendwie geschafft, die Vorlesung zu Ende zu bringen. Kaum hatte auch er den Raum verlassen, da wurde er von einigen

Weitere Kostenlose Bücher