Das Geheimnis von Ella und Micha: Ella und Micha 1 - Roman (German Edition)
ich aus dem Haus renne, und er läuft mir auch nicht hinterher. Ich marschiere geradewegs zu meinem Wagen, wobei ich mit jedem Schritt wütender werde und meine Faust in das Fahrerfenster ramme. Es zerspringt nicht, dafür knackt es mächtig in meinen Handknöcheln.
»Scheiße!«, schreie ich, meine Hand haltend, und die alte Dame auf der anderen Straßenseite, die in ihrem Garten arbeitet, huscht eilig in ihre Villa.
Ich springe in den Wagen und fahre los, ohne eine Ahnung, wohin ich will.
Kapitel 18
ELLA
Micha antwortet nicht auf meine SMS , und das macht mich irre. Ich muss herausfinden, wo er ist, aber Caroline macht es schwierig. Sie ist Fotografin und will Bilder von verschiedenen Ansichten unserer Stadt machen. Als Erstes bringe ich sie zum See, weil der die Schokoladenseite der Stadt ist, und halte an diversen Abbiegungen, damit sie unterschiedliche Ansichten bekommt. Als wir zur Brücke kommen, wird sie richtig enthusiastisch und will die auch fotografieren.
»Die hat so viel Geschichte in sich«, sagt sie. »Und wahrscheinlich trägt sie für die Leute jede Menge Erinnerungen.«
Ich frage mich, ob Caroline auch Gedankenleserin ist.
Eine zarte Staubwolke umgibt uns, als ich auf die Bremse trete und den Wagen am Rand der Brücke parke, wo sie mit ihrer Kameratasche auf der Schulter herausspringt. Lila und ich gehen ihr langsam hinterher, und ich bleibe an der Linie stehen, an der die Straße in die Brücke übergeht.
»Ist das hier die Brücke?«, fragt Lila, die mich durch ihre Sonnenbrille beobachtet.
Ich blicke auf die Stelle am Boden, wo Micha und ich uns im Regen geküsst haben. »Ja, das ist sie.« Mit flatterndem Herzen gehe ich zum Geländer, halte mich daran fest und blicke hinab zum See, der im Sonnenlicht glitzert und so viel heller ist als in jener Nacht.
Carolines Kamera klickt und klickt, als sie den See aus jedem Winkel fotografiert, während Lila auf die andere Seite geht. Der Wind bläst mir durchs Haar, und ich schließe die Augen. Ich versetze mich in jene Nacht zurück. An dem Morgen hatte ich die Medikamente meiner Mom aus dem Schrank geräumt und war auf ein Fläschchen mit Tabletten gestoßen, die sie nahm, um ihre Halluzinationen einzudämmen. Ich hatte mich gefragt, ob sie bei ihr wirkten und wie sie unter diesen Dingern die Welt gesehen hatte. Deshalb nahm ich eine, um es herauszufinden, und dann bin ich mit Micha zu der Party gefahren.
Schon als ich in seinen Wagen stieg, merkte er, dass mit mir was nicht stimmte. »Du siehst irgendwie weggetreten aus«, sagte er. »Wollen wir lieber hierbleiben?«
Ich hatte den Kopf geschüttelt und ihm stumm signalisiert, dass er losfahren solle. Er war skeptisch, fuhr uns aber zur Party, wo er mich genauestens im Auge behielt. Ja, er ist mir hinterhergetrottet wie ein Welpe, was mir normalerweise nichts ausmacht, aber an dem Abend wollte ich dringend nachvollziehen, was in meiner Mutter vorgegangen war. Und so nutzte ich die Gelegenheit, als Micha mit einem anderen Mädchen beschäftigt war, fing Grantford ab und bat ihn, mich zur Brücke zu fahren. Er sagte begeistert zu, weil er dachte, das wäre seine Chance.
Als wir bei der Brücke ankamen, goss es wie aus Eimern. Ich bedankte mich höflich bei ihm und sagte, dass er wieder fahren könnte. Grantford war sauer und begann zu maulen, wieso zur Hölle er mich denn hier rausgefahren hätte.
Das tat ich mit einem Achselzucken ab, knallte die Tür zu und stand im Regen. Beim Wenden ließ er extra die Reifen durchdrehen, sodass mir Schlamm und Kies auf die Stiefel spritzten. Ich ging hinüber zum Geländer und stieg auf den Sims, von wo aus ich durch den Regenschleier zum Wasser blickte. Aber es war nicht nahe genug, also ging ich auf einen der Querbalken, genau wie sie es getan hatte.
Es ergab immer noch keinen Sinn, warum sie das gemacht hatte, warum sie dachte, dass sie fliegen könnte. Und das wird es wohl auch nie.
Ich schiebe die Erinnerungen weg und konzentriere mich auf Caroline. Ihr langes Kameraobjektiv ist nahe an meinem Gesicht.
»Du bist sehr nachdenklich«, bemerkt sie und klickt wieder. »Und fotogen.«
»Nein, bin ich nicht«, erwidere ich kopfschüttelnd. »Eigentlich gar nicht.«
Sie macht noch ein Bild und nimmt die Kamera herunter. »Als Fotografin sehe ich völlig anders. Ich glaube, ich sehe Menschen … klarer.«
»Wie ein Spiegel?«
»Ja, ungefähr so.«
Sie richtet ihre Linse auf den See und fängt an, ihn zu knipsen. Ich lehne mich ans
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