Das geheimnisvolle Tuch
So vermischten sie sich im Land. Die Gefährlichkeit, zwischen ihnen und den Einwohnern zu unterscheiden, wurde immer größer.
Der Wirt saß mit dem Rücken zu ihnen gewandt an einem Tisch und unterhielt sich mit Gästen. Die Würfler waren weg, wobei die Gefahr, von ihnen erhascht zu werden, sich erhöhte, da sie überall und zu jederzeit auftauchen konnten. Natürlich konnte auch jeder der Gäste einer von ihnen sein.
Sie beschlossen, durch den Raum zu gehen, wobei Rexina jederzeit bereit war, ihren Spruch des Schutzes zu sagen. Wie bereits Vinc erfuhr, konnten sie jedoch unter dem Schutzzauber nicht laufen, denn er wirkte nur im Stillstand.
Sie mochten die Hälfte des Raumes durchquert haben, als ein Lautes: „Halt“ sie erschrecken ließ. Sie blieben wie angewurzelt stehen.
Rexina, schon im Begriff ihren Spruch zu murmeln, drehte sich um und sah den Wirt hinter sich.
„Wo kommt ihr Gesindel denn her? Mich bestehlen wollen!“, sagte der große breitschultrige Mann. Er packte Vinc an seinem Hemdkragen und schnürte ihm fast die Luft ab. „Ich werde euch den Meistern der Wache übergeben!“, grollte er, sich in seine Wut steigernd. Er rief etwas in Richtung der Küche, aus der ein Junge erschien, der zunächst einmal eine Backpfeife erhielt. „Kannst du nicht schneller kommen?“
„Das ist Tom“, sagte Vinc verblüfft.
Der Geschlagene hielt sich die Wange, auf der die fünf Finger der großen Pratze des Wirtes zu sehen waren.
„Los! Hol die Wache, sag ihnen, ich habe sie endlich!“, befahl der Wirt.
Sie merkten den Unwillen des Beauftragten, aber er bekam noch einmal eine runter gehauen, sodass er es vorzog, diesem Befehl nachzukommen.
„Seit Wochen verschwinden bei mir Lebensmittel und Wein. Nun habe ich euch. Wird Zeit, dass in unserem Städtchen aufgeräumt wird“, sagte der Grobian.
An eine Flucht konnten Vinc, Zubla und Rexina nicht denken, da der Wirt sich inzwischen an den Eingang gestellt hatte und ihn mit seiner hünenhaften Gestalt versperrte.
Die Gäste verfolgten diesen Vorgang teilnahmslos.
Nach geraumer Zeit kamen zwei Wachen und nahmen die Gefangenen in ihre Mitte. Sie gingen mit ihnen zu einem Turm, fast im Zentrum des Ortes, warfen sie in ein kleines Verlies.
„Kannst du uns hier hinauszaubern?“, fragte Zubla mutlos.
Rexina schüttelte den Kopf: „Nein. Ich kann keine Personen durch Zauber bewegen.“
„Was wird mit uns geschehen?“, fragte Vinc und hoffte auf eine ermunternde Antwort.
„So genau weiß ich dies auch nicht. Ich denke, da wir noch nicht so alt sind, werden wir wohl glimpflich davon kommen“, antwortete sie, fügte aber sogleich hinzu: „Hoffe ich.“
Da sie im Moment Zeit hatten, konnte Vinc noch ein paar Fragen stellen, die ihn interessierten, obwohl ihm nicht nach Reden zumute war: „Wir sahen Ochsenkarren an uns vorüberkommen mit Gestalten, die Kutten trugen, aber ohne Gesicht. Du sagtest, es seien Zeitfresser. Aber wieso transportierten sie Getreide?“
„Die Zeitfresser mochten nebenher gegangen sein, aber sie taten ihr Werk. Die Bauern wurden schon von der Zeit gefressen und ihrer Seelen beraubt. Sie waren in der Vergangenheit und somit nicht mehr sichtbar. Zuerst vernichtet die gefressene Zeit die Lebewesen. Irgendwann würdet ihr die Karren, wahrscheinlich auch ohne die Ochsen, sehen. Die materiellen Dinge werden kaum oder erst viel später verschwinden. Sie gehören zu den lange bestehenden Dingen. Die Landschaften verschwinden erst zum Schluss, sie verändern sich nur im Laufe der Zeit. Stelle dir nicht vor, dass alles schnell geht. Es ist ein stetiger langsamer Prozess, der rückwärtsgehend alles verändert. Und die Zeit wird nur dann gefressen, wenn die Zeitfresser dort auftauchen, wo sie die Zeit vertilgen wollen.“
„Aber wenn die Zeitfresser von euch geholt worden sind, dann vernichtet ihr euch doch selbst“, sagte Zubla.
„Ich erklärte euch bereits, der Krieg der Zauberer geriet außer Kontrolle. Wir müssen sie wieder loswerden, die Zeitfresser. Aber das Geheimnis liegt wohl in der gläsernen Stadt.“ Sie sah Vinc länger an.
Er merkte ihre Angst und auch den Hauch von Unsicherheit. Sie konnte zaubern, aber diese Gabe half ihr nicht, sich aus dem Schicksal zu befreien, denn sie wurde ebenfalls ein Spielball der unheimlichen Mächte.
Seine Gedanken schweiften in die Zukunft, zu seinem Auftrag, die Glaskugel zu holen. Die Zeit lief gegen ihn, aber schlimm war es, sie nicht zu kennen. Aber auch in die Vergangenheit
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