Das göttliche Dutzend
gemacht worden. Seit die Bürowelt-Abteilung von Mortropolis gnadenlos ihre Hungerreflexe gefördert und unablässig an ihrem sogenannten Gehirn herumgebogen hatte, war sie nun ständig halb verhungert und erinnerte sich an nichts. [2]
Letzteres war eine Sicherheitsmaßnahme, auf der Byrernst ausdrücklich bestand. Er hatte darauf hingewiesen, daß es nicht gerade hilfreich war, ›wenn Pergamotten herumlaufen und ganze Absätze aus streng geheimen Dokumenten nachplappern, wie senile Schauspieler, die uralte Monologe aufsagen.‹ Kurz gesagt, es war viel zu gefährlich.
Nabob suchte den Keller nach irgendwelchen Hinweisen auf seine mysteriöse Entdeckung ab. Als er nur leere Wände fand, drehte er sich lächelnd um und ging zur Tür hinaus. Die auf ihrem aufgeblähten Bauch schaukelnde Pergamotte blickte ihm nach. Einige Sekunden lang scharrte sie verzweifelt am Steinboden und versuchte, ihm zu folgen, um noch etwas Leckeres zum Atzen zu bekommen, aber dann stellte sie ihre Bemühungen ein und fragte sich blinzelnd, wo sie noch mal hin wollte. Als sie sich müßig im Raum umschaute und zum ersten Mal in ihrem Leben nichts Eßbares entdeckte, vergaß sie, daß sie eigentlich hungrig sein sollte.
Nabob drückte das Päckchen eng an seine Brust, als er durch den Gang lief, die Treppe ein Dutzend Etagen hinaufhetzte und mit Höchstgeschwindigkeit durch die Drehtür des Felsenkratzers des Dämonischen Dienstes platzte. Aber er kam nicht lange so schnell voran. Ohne Vorwarnung steckte er plötzlich bis unter beide Arme in stöhnenden Seelen, die sich unglücklich zum nächsten Qualentermin schleppten. Er fluchte über den Zustand der überfüllten Straßen und drängelte sich durch die Massen seinem Ziel entgegen, einem gewissen unhygienischen Abfluß hinter dem ›Gomorrha‹ in der Innenstadt. Sonst verbrachte er seinen Feierabend nicht gerade hier, aber heute war eine Ausnahme.
Der Dämon Schoysal steckte bis zur Hüfte drin und bemühte sich verzweifelt, nicht darüber nachzudenken, woraus das Zeug bestanden hatte, bevor es durch den Verdauungstrakt der Kundschaft des ›Gomorrha‹ gegangen war. Es sah so aus, als lösten Lava-Martinis in großen Mengen nicht nur die Zungen von Dämonen. Er richtete seine Nasenklammer, schnappte seine Schaufel und hackte wieder resigniert auf das Ufer ein.
»Gemeinnützige Arbeit«, fauchte er kurzatmig. »Verfluchter Byrernst!« Seine Schaufel kratzte am steinigen Ufer entlang und schlug wieder einen winzigen Splitter los. Wenn es so weiterging, würde er wohl ein ganzes Jahrzehnt brauchen, um den Abfluß in den Vorratstank umzulenken, der die Fäkalseen des Gestanks und der Verderbtheit speiste. Drei Monate waren seit seiner Verurteilung vergangen, und bis jetzt war er drei Zoll weit gekommen.
Er biß die Reißzähne aufeinander und fluchte noch einmal. Es wäre alles anders gekommen, wenn es nicht so furchtbar schiefgegangen wäre und man ihn nicht auf frischer Untat ertappt hätte. Wenn d’Eibele zur Wahl eingetroffen wäre – statt drei Tage früher –, hätten sie ihm die dickste Bestechung aller Zeiten zukommen lassen. Er hätte für seine Stimme die Oberwelt bekommen. Die ganze. Die direkte Verbindung war bereits vorhanden und funktionierte: ein tausend Fuß tiefer Riß, der gewaltige Mengen von Hölliens Atmosphäre in die klare talpine Bergluft blies. Die Temperatur stieg rapide an, und überall kamen abscheuliche Niederschläge herunter. Es wäre alles wunderbar unbewohnbar geworden.
Wenn nur d’Eibeles dämlicher Daktylus nicht mit dem Flügel in den Sog der entweichenden Gase geraten und ins Penthaus des Interhemisphärischen Reisebüros gekracht wäre. Er hatte alles ruiniert! Jetzt hatten er und Nabob ungefähr so gute Aussichten auf die Obertotengräberschaft wie eine durchschnittliche Pergamotte auf den ersten Platz beim Memory-Turnier.
Sie konnten nur für eins dankbar sein: daß das Reisebüro so verwüstet worden war, daß niemand mehr erraten konnte, was er und Nabob geplant hatten. Erstaunlicherweise hatte Byrernst tatsächlich das Märchen geglaubt, daß sie mit unfähigen illegalen Einwanderern das Büro hatten erweitern wollen. Schoysal hatte damit gerechnet, wegen diverser Vergehen gegen Bauvorschriften und Arbeitsgesetze sowie Tierquälerei an d’Eibeles Daktylus zu einigen hundert Jahren Knast verdonnert zu werden. Statt dessen hatte man ihn zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Er warf einen Blick auf das, was noch vor ihm lag, und winselte
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