Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen
gerade die Rede, die ich geplant hatte, aber das Wesentliche hatte ich gesagt. Als ich die letzten Worte ausgesprochen hatte, standen mir Tränen in den Augen, und ich umklammerte die Teetasse so fest, dass es ein kleines Wunder war, dass sie nicht zerbrach.
Mir gegenüber starrte Henry stumm in seine Tasse. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was er dachte, und ich war mir nicht sicher, ob ich es überhaupt wissen wollte. Alles, worauf es ankam, war, dass er Ja sagte.
„Du würdest wirklich sechs Monate eines jeden Jahres vom Rest deines Lebens aufgeben, um deine Freundin zu retten – nach allem, was sie dir angetan hat?“ In seinem Ton lag ein Hauch von Ungläubigkeit.
„Was sie getan hat, verdient nicht die Todesstrafe“, beharrte ich. „Da draußen sind eine Menge Leute, die sie geliebt haben, und die sollten nicht meinetwegen einen solchen Schmerz ertragen müssen.“ Und vielleicht würde es auch meine Schmerzen etwas lindern, wenn ich wüsste, dass ich sie gerettet hatte.
Er trommelte mit den Fingern auf der Armlehne des Sofas herum, die Augen wieder auf mich gerichtet. „Kate, ich lade nicht jeden in mein Haus ein. Verstehst du, warum ich dir diesesAngebot gemacht habe?“
Weil er irre war? Ich schüttelte den Kopf.
„Weil du sie, obwohl sie dich allein zurückgelassen hat, nicht beleidigt hast sterben lassen, sondern alles in deiner Macht Stehende getan hast – dich sogar deiner größten Angst gestellt hast –, um sie zu retten.“
Darauf fiel mir keine Antwort ein. „Würde das nicht jeder tun?“
„Nein.“ Sein Lächeln wirkte müde. „Sehr wenige Menschen würden es überhaupt in Erwägung ziehen. Du bist eine seltene Ausnahme, und du faszinierst mich. Als du gestern mein Angebot abgelehnt hast, dachte ich, ich hätte mich vielleicht geirrt. Doch indem du heute hierhergekommen bist, hast du dich als würdiger und fähiger erwiesen, als ich mir je hätte vorstellen können.“
Erschüttert blinzelte ich. „Würdig und fähig für was?“
Er ignorierte meine Frage.
„Ich werde mein Angebot nur noch ein einziges Mal machen. Das Leben deiner Freundin kann ich dir nicht als Gegenleistung geben. Sie ist fort, und ich fürchte, wenn ich sie jetzt in ihren Körper zurückversetzen würde, wäre sie etwas Unnatürli-ches und könnte niemals glücklich werden. Aber ich verspreche dir, in ihrem jetzigen Zustand ist sie zufrieden. Es geht ihr gut.“
Mein Brustkorb fühlte sich an wie ausgehöhlt. „Also ist alles umsonst?“
„Nein.“ Er neigte den Kopf zur Seite und verengte leicht die Augen. „Ich kann nicht ungeschehen machen, was in der Vergangenheit liegt, aber ich kann Dinge verhindern .“
„Was verhindern?“
Stumm sah er mir in die Augen, und plötzlich begriff ich. Ich hatte geglaubt, ich würde das Thema anschneiden müssen, doch nun hatte er es für mich getan.
Er konnte verhindern, dass meine Mutter starb.
„Du – du kannst das wirklich tun?“
Er zögerte. „Ja, das kann ich. Ich kann deine Mutter nicht heilen, aber ich kann sie am Leben erhalten, bis du bereit bist, ihrLebewohl zu sagen. Ich kann dir die Chance geben, mehr Zeit mit ihr zu verbringen, und wenn die Zeit gekommen ist, werde ich dafür Sorge tragen, dass es friedlich vonstattengeht.“
Seine Worte hüllten mich in eine merkwürdige Wärme.
„Wie?“, flüsterte ich.
Er schüttelte den Kopf. „Mach dir darüber keine Gedanken. Wenn du darauf eingehst, hast du mein Wort, dass ich meinen Teil unserer Vereinbarung einhalte.“
Bis vor ein paar Tagen hatte ich immer geglaubt, ich würde mich von meiner Mutter verabschieden können. Keins der Szenarien, die ich mir ausgemalt hatte, beinhaltete, dass sie ins Koma fiel und davontrieb, ohne dass ich ihr noch ein letztes Mal sagen konnte, wie sehr ich sie liebte. Und nun …
„Okay“, sagte ich leise. „Halte – halte sie am Leben. Sie hat eine ziemlich aggressive Krebsart, es könnte – könnte also schwierig sein.“ Tränen liefen mir über die Wangen. „Aber sie wird keine Schmerzen haben, oder? Ich will nur … Ich will mich von ihr verabschieden können.“
„Sie wird keine Schmerzen haben, dafür werde ich sorgen.“ Er lächelte traurig. „Wünschst du dir sonst noch was? Du gibst sehr viel mehr auf als ich, und ich möchte, dass du dir sicher bist.“
Ich schluckte. „Am Leben erhalten kannst du sie nicht? Du kannst … Du kannst sie nicht heilen?“
„Nein. Tut mir leid“, bestätigte er. „Aber kein Abschied ist für
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